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Wie funktioniert selbstheilender Beton?

Die rasant wachsende Weltbevölkerung stellt eine Belastung für die schwindenden natürlichen Ressourcen des Planeten dar. Daher orientiert sich die Wissenschaft in Richtung nachhaltigerer Materialien. Der Geoumwelttechniker Michael Harbottle spricht mit uns darüber.

Industrielle Technologien icon Industrielle Technologien

Die EU-Politik richtet sich zunehmend auf die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft aus, die auf nachhaltigeren Materialien, Technologien, Verfahren und Verhalten stützt. Bei Bemühungen zur Vermeidung von unnötigem Abfall beruft man sich meist als Mittel auf die „fünf R“: ablehnen (refuse), reduzieren (reduce), wiederverwenden oder reparieren (reuse oder repair), umfunktionieren (repurpose) und in den Kreislauf zurückführen (recycle). Derzeit bedeutet die Reparatur von Schäden oder Verfall physischer Infrastruktur, wie Straßen oder Gebäuden, den Austausch der ursprünglichen Baustoffe. Das zieht nicht nur Kosten für Bauträger und die Umwelt nach sich, sondern kann auch die strukturelle Integrität und Ästhetik beeinträchtigen.

Gibt es eine umweltfreundlichere Alternative?

Harbottle berichtet: „Die Evolution hat Pflanzen und Tieren unendlich viele Möglichkeiten gegeben, Verletzungen selbst zu heilen. Wir können bei der Konstruktion unserer gebauten Umwelt viel von der Natur lernen.“ Wenn wir uns beispielsweise einen Knochen brechen, dann verengen sich die Blutgefäße um den Bruch und formen ein Gerinnsel, um weitere Blutung zu verhindern. Anschließend bilden weiche Fasergewebe und Knorpel knochenartiges Material namens Kallus. Daraufhin werden an den Seiten des Bruchs neue Knochenzellen gebildet, die zusammenwachsen und das Kallus absorbieren, um neue Knochenmasse zu bilden. Während seiner Zeit an der Universität Cardiff im Vereinigten Königreich war Harbottle an mehreren Initiativen beteiligt, um Baumaterialien zu entwickeln, die biologische Prozesse ausnutzen, um vorhandene Infrastruktur zu erhalten sowie den Wartungsaufwand und Neubauten zu reduzieren. Im Rahmen des Projekts GEOHEAL, das über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen unterstützt wird, nutzte Harbottle die Eigenschaft von Bakterien aus, Kalzit zu mineralisieren. Mit diesem Material können dann natürliche Materialien wie Kalkstein und Sandstein, die im Bauwesen häufig verwendet werden, „repariert“ werden. Dabei kommt das robuste Bakterium Sporosarcina ureae zum Einsatz, das als Sporen zusammen mit den erforderlichen Nährstoffen eingepflanzt wird. Während sie wachsen, produzieren die Bakterien Kalziumkarbonat, das sich zu Kalzitkristallen verhärtet und Kalkstein binden sowie Sandsteinkörner aneinanderkleben kann. „Poröses Mauerwerk kann verschiedene aktive Mikroorganismen aufnehmen, sodass diese Behandlung über Sprays, Farben oder Kapseln in die Poren eingeführt werden kann. So wird das Material repariert, ohne die ‚Atmung‘ des Mauerwerks zu beeinträchtigen“, erklärt Harbottle. Harbottle erkannte auch, dass die Bakterien eine zyklische Lösung darstellen könnten. Wenn in den Mörtel inaktive Bakterien gemischt werden, können sie jeder Zeit aktiviert werden, wenn sich Risse bilden.

So gut wie neu?

„Die Bakterien bilden eine Art Narbengewebe. Wie ähnlich dieses einer Regeneration ist, hängt von dem Material ab“, sagt Harbottle. „Kalkstein enthält große Mengen Kalzium und Karbonat, sodass ein Teil des neu gebildeten Kalzits vermutlich Mineralien aus der ursprünglichen Masse enthält, die von den Bakterien ‚neu angeordnet‘ wurden.“ Nach Aussagen von Harbottle ist das neue Produkt dem ursprünglichen Material vermutlich sehr ähnlich, sodass Eigenschaften wie Stärke und Witterungsbeständigkeit wiedererlangt werden. Harbottle berichtet, dass die Idee der Selbstheilung breite Anwendung bei anderen Materialien findet, darunter Polymeren und Asphalt sowie Beton. „Soweit ich weiß, ist sie auch in Metallen untersucht worden, dann jedoch nicht mit Bakterien. Dieser Ansatz ist hauptsächlich für Baumaterialien geeignet, da sie mineralienproduzierende Prozesse durchlaufen“, ergänzt Harbottle. Harbottle wollte nicht zu sehr von seinem Fachgebiet abweichen, doch er bot einige Einblicke in die mögliche Zukunft intelligenter Baustoffe. „Damit ein Organismus sich selbst heilen kann, muss er erstmal wissen, dass er verletzt ist. Daher wurden im Vereinigten Königreich in letzter Zeit Sensor- und Aktivierungssysteme untersucht – mit diesen können die Materialien Verfall erkennen, Optionen analysieren und sich für eine Lösung entscheiden, ganz ohne menschliches Eingreifen“, führt er aus. „Es könnte zukünftig möglich sein, vollständig autonome selbstheilende Systeme zu entwickeln. Diese müssen jedoch die erforderlichen Chemikalien und die Energie verwerten, um aus der direkten Umgebung ein Reparaturmittel zu erzeugen.“

Wann werden unsere Gebäude sich also selbst reparieren?

Derzeit steht Harbottles bakterien-gestützter Lösung noch eine Reihe an Herausforderungen im Weg. Eine davon ist die Lieferung – Harbottles Bakterien stammen aus seinem Labor, doch zur breiteren Anwendung müssten indigene Bakterien in großen Mengen aufgetrieben und vor dem Einsatz getestet werden. Eine weitere Einschränkung ist die Nachfrage. Das Bauwesen ist in Anbetracht der katastrophalen Auswirkungen von Fehlern sehr konservativ, wenn es um neue Materialien geht. Harbottle betont, das die Risiken sich nicht nur auf die Sicherheit, sondern auch auf die Ästhetik von baulichem Erbe beziehen. „Wir müssen die Machbarkeit an verschiedenen Strukturen nachweisen, um das Vertrauen möglicher Nutzender zu gewinnen. Dabei könnte man sich zunächst auf nicht sicherheitskritische Umgebungen oder nicht-strukturelle, kosmetische Elemente wie Straßenpflaster oder Fassaden konzentrieren“, fügt Harbottle hinzu. Hier erfahren Sie mehr über die Forschung von Harbottle: Biotechnisch erzeugte „Selbstheilung“ für nachhaltiges Bauen und eine intelligente Erhaltung des Kulturerbes

Schlüsselbegriffe

GEOHEAL, Infrastruktur, Bakterien, Kalkstein, Sandstein, Gebäude, Selbstheilung, Bauwesen, Reparatur