Entwicklung einer besser sitzenden – und leistungsfähigeren – Beinprothese
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation leben mehr als 25 Millionen Menschen mit einer Amputation der unteren Gliedmaßen, wobei viele von ihnen zur Fortbewegung auf Prothesen angewiesen sind. Zwar haben diese Prothesen Wunder bewirkt, was die Mobilität und die Lebensqualität angeht, sie sind jedoch bei weitem nicht perfekt. Tatsächlich geben 35,3 % der Amputierten an, mit ihrer Prothese im Allgemeinen unzufrieden zu sein, während 40 % Schwierigkeiten haben, auch nur 50 Meter weit zu gehen. „Zusammengenommen zeigen diese Zahlen, dass ein klarer Bedarf an einer Verbesserung der Prothesenleistung besteht“, sagt DeJiu Chen, außerordentlicher Professor an der schwedischen Königlichen Technischen Hochschule (KTH). Mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts SocketSense arbeitet Chen daran, diesen Bedarf zu befriedigen. Zur Entwicklung eines besseren Prothesenschaftes nutzt er neue Technologien wie intelligente Sensoren, künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge (IoT).
Optimierung des Prothesenschaftes
Eine Schlüsselkomponente der modernen Gliedmaßenprothese ist der Schaft, der Teil, der das Produkt mit dem amputierten Gliedmaß verbindet. Damit die Prothese funktioniert, muss der Schaft laut Chen nicht nur richtig sitzen, sondern auch die richtige Last tragen können, die richtige Betriebsstabilität bieten und die Kontrolle gewährleisten. „Die Entwicklung und Optimierung eines Prothesenschaftes erfordert ein genaues Verständnis der tatsächlichen Betriebsbedingungen innerhalb des Schaftes“, erklärt Chen. „Dies ist jedoch aufgrund der inhärenten Komplexität und der eingeschränkten Beobachtbarkeit eines Schaftes im Einsatz eine schwierige Aufgabe.“ Und hier kommt die Technologie ins Spiel. „Mithilfe intelligenter Sensoren kann die SocketSense-Lösung die dynamischen Betriebsbedingungen in Prothesenschäften, die sonst nicht beobachtet werden können, effizient überwachen und analysieren“, ergänzt Chen. „Das Endergebnis ist eine besser sitzende – und funktionierende – Beinprothese.“
Hochmoderne Technologien
Was die SocketSense-Lösung so richtungsweisend macht, ist der Einsatz verschiedener Spitzentechnologien. Dazu gehören flexible, gedruckte, tragbare elektronische Sensoren, die direkt am Schaft angebracht werden können und so wichtige Betriebsbedingungen wie Druck und Reibung messen. Die Lösung stützt sich auf Methoden des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz. „In Verbindung mit statistischen Analysen erlauben uns diese Technologien fortschrittliche Schätzungen des Stumpfzustands, die traditionell sehr schwer zu prognostizieren waren“, merkt Chen an. SocketSense bietet zudem fortgeschrittene biomechanische Analysen für die Stumpfdiagnostik und -prognose, ein Entscheidungshilfesystem zur Optimierung des Schaftdesigns sowie integrierte Softwaredienste für die Erfassung und Analyse von Daten. Zudem wurde im Zuge des Projekts eine neuartige Robotik-Plattform, der so genannte Mechatronik-Zwilling, entwickelt, der als analytische Nachbildung für eine genauere Untersuchung dient. „Dieser Robotik-Ansatz zur Erforschung komplexer Mensch-Schaft-Interaktionen bedeutet, dass wir das Verhalten virtuell modellieren und simulieren können, sodass Amputierte keine potenziell belastenden Experimente durchführen müssen“, erklärt Chen.
Ein maßgeschneiderter Schaft für jeden Menschen
Nachdem das System im Rahmen von Labortests, Pilotversuchen und klinischen Studien in Island, Spanien und dem Vereinigten Königreich getestet und validiert wurde, untersuchen die Projektpartner derzeit Möglichkeiten, die Technologien zu optimieren und zur Marktreife zu bringen. „Durch die Integration einer breiten Palette von Technologien und wissenschaftlichen Methoden haben wir erfolgreich ein innovatives, intelligentes, IoT-basiertes System erstellt, das anpassbare Sensoren in den Schäften, eine Cloud-basierte Datenerfassung sowie fortschrittliche Betriebsanalysen umfasst“, so Chen abschließend. „Die Technologie mag zwar beeindruckend sein, aber am meisten mit Stolz erfüllt uns das, was sie bewirkt, nämlich die Herstellung von Prothesenschäften, die auf die individuellen Bedürfnisse jedes amputierten Menschen zugeschnitten sind.“
Schlüsselbegriffe
SocketSense, Sensoren, Prothesenschaft, Beinprothese, Amputierte, neue Technologien, künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, maschinelles Lernen, Robotik