Die Gehirnfunktion durch invasive Methoden verstehen
Der Thalamus ist eine kleine Struktur in der Mitte des Gehirns. Er ist entscheidend für die Weiterleitung von Informationen und verbindet beispielsweise die Netzhaut mit dem visuellen Kortex. Viele Forschende nehmen zwar an, dass der Thalamus für viel mehr verantwortlich ist, der Nachweis war jedoch lange Zeit eine Herausforderung. „Der Thalamus ist ziemlich schwer zu erreichen“, erklärt der Projektkoordinator von DirectThalamus(öffnet in neuem Fenster), Tobias Staudigl von der Ludwig-Maximilians-Universität München(öffnet in neuem Fenster). „Er ist auch keine einheitliche Struktur, sondern über verschiedene Bereiche mit unterschiedlichen Regionen des Kortex verbunden.“ Deshalb ist der menschliche Thalamus mit nicht-invasiven Methoden unglaublich schwer zu analysieren und messen. Somit ist diese Hirnregion bis heute ein Rätsel geblieben.
Die Rolle des Thalamus bei kognitiven Funktionen
Hier setzt das Projekt DirectThalamus an. Unterstützt über den Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) versuchten Staudigl und sein Team, Methoden für intrakranielle EEG (iEEG) anzuwenden und ihre Ergebnisse mit anderen Datenquellen zu kombinieren. Dadurch erhoffte das Team sich ein klareres Bild von der Rolle des Thalamus bei kognitiven Funktionen. Die iEEG kann beim Menschen nur im Rahmen eines medizinischen Verfahrens durchgeführt werden, bei dem Elektroden direkt am Gehirn angebracht werden, um die elektrische Aktivität aufzuzeichnen. Die Methode wird in erster Linie eingesetzt, um die Ursache von Krampfanfällen bei Menschen mit Epilepsie festzustellen. Bei DirectThalamus hingegen werden Elektroden genutzt, die für die tiefe Hirnstimulationstherapie implantiert wurden. Staudigl nutzte dieses Verfahren, um die Aktivität des Thalamus direkt aufzuzeichnen und zu stimulieren. „Wir konnten einige sehr grundlegende elektrophysiologische Vorgänge im Gehirn charakterisieren, was sonst nicht möglich gewesen wäre“, sagt er. „Wir haben zum Beispiel den Schlafrhythmus untersucht. Es gibt bestimmte Schwingungen in einigen Schlafphasen, die vermutlich im Thalamus erzeugt werden, aber viele Aspekte dieser Rhythmen sind völlig unbekannt, vor allem beim Menschen.“
Gehirnschwingungen im zentralen Thalamus
Staudigl und sein Team konnten diese Schwingungen charakterisieren und fanden Hinweise darauf, dass einige thalamische Rhythmen tatsächlich die kortikalen Rhythmen beeinflussen. Mit anderen Worten scheint der Thalamus in Situationen die Kontrolle zu übernehmen, in denen bei traditionellen Modellen dem Kortex die Führung zugeschrieben wurde. „Wir haben auch eine Hirnschwingung im zentralen Thalamus entdeckt, die bisher noch nicht beschrieben wurde, was sehr spannend ist“, berichtet Staudigl. „Interessant ist, dass dieser Rhythmus im Wachzustand und in der REM-Phase (Rapid Eye Movement) auftritt, aber nicht im Nicht-REM-Schlaf. Dieser Rhythmus könnte diese beiden Bewusstseinszustände miteinander verbinden.“
Behandlung von Epilepsie und anderen neurologischen Störungen
Die Projektergebnisse sind von großer Bedeutung für den Nachweis, dass der Thalamus mehr als nur Informationen weiterleitet. Staudigl räumt jedoch ein, dass in diesem Bereich noch viel Grundlagenforschung nötig ist. „Die Daten sind vorhanden, sie müssen nun ausgewertet und beschrieben werden“, fährt er fort. „Dadurch ist ein umfassenderer Blick auf die Hirnforschung möglich und der Fokus auf den Kortex kann aufgeweicht werden.“ Staudigl ist auch an der Erforschung des therapeutischen Potenzials interessiert, das mehr Wissen zur Funktionsweise des Gehirns birgt. Die Identifizierung bestimmter Gehirnbereiche, die manipuliert werden können, könnte eines Tages zu besseren Behandlungen von Epilepsie und anderen neurologischen Störungen führen.