Ermöglichen des Selbstlernens und der Selbstanpassung von Werkstoffen, nicht von Menschen
Vögel, Bienen und Bäume haben eine wichtige Verhaltensweise gemeinsam. In ihren jeweiligen Kollektiven – ihren Herden, Schwärmen und Wäldern – ist jedes einzelne Mitglied in der Lage, Signale zu empfangen und auszutauschen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen und ihre Funktionsweise zu verbessern, ohne dass jemand sie anleitet. Inspiriert von diesem komplexen Verhalten hat sich das EU-finanzierte Projekt IMMENSE(öffnet in neuem Fenster) zum Ziel gesetzt, herauszufinden, ob Werkstoffe und Strukturen mit Prozessen ausgestattet werden können, die dieses Verhalten simulieren - mit anderen Worten, ob sie empfindungsfähig werden können.
Auf dem Weg zur Empfindungsfähigkeit
Ein empfindungsfähiger Werkstoff oder eine empfindungsfähige Struktur muss in der Lage sein, Signale zu senden und zu empfangen, sie zu interpretieren und zu vergleichen und so selbst zu lernen und sich selbst anzupassen. Was aber bedeutet das in der Praxis? „Eine empfindungsfähige Struktur könnte beispielsweise Vibrationen und die Ausbreitung von Wellen innerhalb ihrer Elemente erfassen, die Art der detektierten Signale autonom interpretieren und klassifizieren und in der Lage sein, darauf zu reagieren, indem sie die Steifigkeit einiger ihrer Elemente verändert, um die Folgen von durch externe Einflüsse verursachten Schwingungen zu mindern“, erklärt der Bauingenieur Alberto Corigliano vom Projektkoordinator des IMMENSE-Projekts, dem Politecnico di Milano, Italien, in einem auf der Website Open Access Government veröffentlichten Artikel(öffnet in neuem Fenster). „Ein empfindungsfähiges Material könnte in der Lage sein, lokale Defekte frühzeitig zu erkennen und Mechanismen zur Freisetzung von Substanzen zur Selbstreparatur zu aktivieren.“ Um dieses Ziel zu verwirklichen, nutzt IMMENSE die Festkörper- und Strukturmechanik, die Fluid-Struktur-Interaktion sowie multiphysikalische Phänomene auf der Mikro- und Mesoskala in Kombination mit mikrostrukturierten intelligenten Materialien. Im Rahmen des Projekts werden innovative bioinspirierte Sensoren untersucht und entwickelt und mit intelligenten Werkstoffen und Meta-Werkstoffen kombiniert, die die Intensität der empfangenen Signale optimieren und sie dorthin leiten können, wo sie benötigt werden. Lernfähiges und reaktives Verhalten wird durch die Nutzung der komplexen Dynamik von Oszillatoranordnungen in Verbindung mit innovativer Hardware zur Signalklassifizierung und -erkennung erreicht. Jüngste Entwicklungen in der analogen Datenverarbeitung ermöglichen den Bau kompakter, energieeffizienter Geräte, die unabhängig voneinander grundlegende Berechnungen durchführen können. In einer im Jahr 2025 durchgeführten Studie(öffnet in neuem Fenster) untersuchte das Projekt einen intelligenten Ansatz zur Auslegung von Fachwerkstrukturen mithilfe generativer Regeln und eines Entscheidungsalgorithmus namens Monte-Carlo-Tree-Search. Da das System in der Lage ist, viele mögliche Entwürfe effizient zu untersuchen und sich auf die vielversprechendsten zu konzentrieren, könnte sich dieser Ansatz besser für komplexe Konstruktionsprobleme eignen. Eine weitere IMMENSE Studie(öffnet in neuem Fenster) beschreibt, wie ein hochflexibler piezoelektrischer Sensor im Tintenstrahldruckverfahren auf einem dünnen Polyimidsubstrat hergestellt werden kann. Tests zeigen, dass der Sensor auch dann noch zuverlässig funktioniert, wenn er stark und wiederholt gebogen wird. Dies deutet darauf hin, dass dieser neue Druckansatz zu erschwinglichen, anpassbaren Sensoren für Elektronik der nächsten Generation führen könnte. IMMENSE (Inter materials and structures mechanoperception for self learning) muss noch einige theoretische und technologische Hürden überwinden, bevor das Projekt sein Ziel erreicht. Ausgestattet mit innovativen neuen Sensoren, Algorithmen des maschinellen Lernens sowie neuen Systemen zur Signalinterpretation und -klassifizierung arbeitet das Projekt jedoch daran, empfindungsfähige Materialien zu entwickeln, die vielversprechende Anwendungen unter anderem in der Biomedizin, im Ingenieurwesen und im Bauwesen ermöglichen. Das Projekt endet 2029. Weitere Informationen: IMMENSE-Projekt-Website(öffnet in neuem Fenster)