Wissenschaft im Trend: Experten zufolge werden die Vorteile der Krebsvorsorge überschätzt
Eine Analyse zeigt, dass die Zahl der Todesfälle aufgrund bestimmter Krebsarten, für die Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden, zwar gesunken ist, dass Vorsorgeuntersuchungen insgesamt jedoch wenig Einfluss auf die allgemeine Sterberate haben. Das Forschungsteam, das von Dr. Vinay Prasad von der Oregon Health and Science University in Portland geleitet wurde, vertritt daher die Ansicht, dass der Erfolg von Vorsorgeuntersuchungen an der Gesamtzahl der Todesfälle gemessen werden sollte und nicht an den Todesfällen, die einer bestimmten Krebsart zuzuschreiben sind. Nur so würde man die tatsächlichen Auswirkungen von Vorsorgeuntersuchungen bestimmen können. Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass beispielsweise Vorsorgeuntersuchungen bei Prostatakrebs häufig falsch positive Ergebnisse hervorbringen, sodass unnötige Behandlungen bei Patienten durchgeführt werden, die schwerwiegende psychologische und medizinische Folgen haben können. Die Forscher berufen sich zum Beispiel darauf, dass jährlich bei einer Million Männern Prostatakrebs diagnostiziert und eine Biopsie vorgenommen wird und dass bei diesen ein höheres Risiko besteht, dass sie innerhalb der ersten zwölf Monate nach der Diagnose Suizid begehen, dass sie einen Herzinfarkt erleiden oder dass sie an Behandlungskomplikationen sterben. Dr. Prasad fasst die Ergebnisse der Studie wie folgt zusammen: „Einige Todesfälle, die nicht auf Krebs zurückzuführen sind, sind ganz klar eine Folge der Vorsorgeuntersuchungen.“ Dr. Prasad und sein Team empfehlen daher, dass groß angelegte Studien in der Bevölkerung durchgeführt werden, um endgültig festzustellen, ob man mit Krebsvorsorge tatsächlich Leben retten kann. Für aussagekräftige Ergebnisse müssten dabei mehrere Millionen Menschen an einer Studie teilnehmen. Zudem müssten bei einer solchen Studie alle Todesfälle betrachtet werden, nicht nur die durch eine bestimmte Krebsart verursachten. Das Forscherteam räumte jedoch ein, dass es große Hürden zu überwinden gäbe, um eine solche Studie durchführen zu können: die gegenwärtige öffentliche Haltung gegenüber der Krebsvorsorge, fehlende politische Unterstützung und hohe Kosten. Gleichzeitig weisen Dr. Prasad und seine Kollegen darauf hin, dass Patienten besser über die Risiken einer Vorsorgeuntersuchung aufgeklärt werden müssen und ihnen sämtliche Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, die sie benötigen, um die Vorteile einer solchen Vorsorge realistisch gegen deren potenzielle negative Folgen abwägen zu können. Doch Dr. Prasad wird nicht in allen seinen Empfehlungen von seinen Kollegen unterstützt. Gerd Gigerenzer vom Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin veröffentlichte im British Medical Journal (BMJ) einen Begleitartikel, in dem er Folgendes zu bedenken gab: „Anstatt Ressourcen auf groß angelegte Studien zu verwenden, bei denen nur eine geringe Chance besteht, dass die minimale Reduzierung der Sterberate bewiesen wird, und die darüber hinaus einer großen Anzahl Patienten Leid zufügen werden, sollten wir eher in die Bereitstellung transparenter Informationen investieren. Es ist an der Zeit, dass wir einen neuen Ansatz zur Krebsaufklärung finden: weg von Überzeugungsarbeit, hin zur klaren Kommunikation.“
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