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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Multinationale Bemühungen, Kerntechnologie der vierten Generation für die Visegrád-Region zu entwickeln

Was kann man als kleineres Land tun, das nicht über die Ressourcen verfügt, die nächste Generation der Kernenergie vollständig zu nutzen? Laut den Ergebnissen eines Projekts könnte die Antwort in intelligenter regionaler Zusammenarbeit liegen.

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Das Projekt VINCO (Visegrad Initiative for Nuclear Cooperation) wurde ins Leben gerufen, um die vier Visegrád-Staaten (V4) (die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und die Slowakei) dabei zu unterstützen, gemeinsam von der nächsten Generation der Kernenergie (4. Generation) zu profitieren. Als EU-finanzierte Koordinations- und Unterstützungsmaßnahme baute das Projekt die Kapazitäten der V4 aus, indem Expertise und Fachwissen gebündelt wurden. Die Aktivitäten des Projekts ergänzen die Arbeit des Exzellenzzentrums V4G4 (Visegrad 4 for Generation4), das von Forschungs- und technischen Einrichtungen, die aus den ganzen V4 stammen, gegründet wurde, um die Technologie gasgekühlter Schnellbrutreaktoren weiterzuentwickeln. Um mehr über diese Bemühungen herauszufinden, traf sich CORDIS mit Prof. Jacek Jagielski, dem Direktor der Abteilung für Materialphysik des nationalen Zentrums für Kernforschung Polens und Koordinator des Projekts. Welche Rolle spielt die Kernenergie in der Visegrád-Region und welche Hoffnungen bestehen für die Zukunft? Prof. Jagielski: In der Tschechischen Republik, Ungarn und der Slowakei erzeugen Kernkraftwerke seit Jahrzehnten erfolgreich und sicher Strom. Polen plant den Bau wassergekühlter Reaktoren zur Stromerzeugung und die Entwicklung von Hochtemperaturreaktortechnologie (HTR-Technologie) für Chemieunternehmen. Die V4 sind sich einig, dass die Kernenergie ein wichtiges Element des Energiemixes sein wird, gerade für Länder, die Kohle als ihre Hauptenergiequelle nutzen. Warum sind gasgekühlte Schnellbrutreaktoren für die Technologie der 4. Generation wichtig? Gasgekühlte Schnellbrutreaktoren haben wie andere Brutreaktoren auch ein enormes Potenzial, die Menge der aus Uranerz gewonnenen Energie zu steigern. Die aktuelle Generation Reaktoren verwendet das Isotop 235U mit einer natürlichen Urankonzentration von nur 0,7 %. Schnellbrutreaktoren können das Isotop 238U, welches 99,3 % natürliches Uran enthält, in spaltbares Plutonium (239Pu) umwandeln, welches dann zur Energieerzeugung verwendet wird. Das Projekt schenkte auch Hochtemperaturreaktoren Beachtung, da diese einerseits einige Eigenschaften mit gasgekühlten Schnellbrutreaktoren gemeinsam haben (wie die Kühlung durch Helium), aber deren industrielle Umsetzung näher bevorsteht. HTR sind aktuell im wahrsten Sinne des Wortes ein heißes Thema, da sie die einzige Kernenergieoption sind, die mit Dampftemperaturen, die typischerweise 550 °C erreichen, wohl genug Hitze für Installationen der chemische Industrie und mit Temperaturen um 1 000 °C für die Wasserstofferzeugung erreichen können. Polen ist sehr an ihnen interessiert, da wir in der chemischen Industrie alte Kohlekessel ersetzen müssen und nicht auf die Einfuhr von Gas zurückgreifen wollen. Wie hilft VINCO dabei, die Ambitionen der V4 bezüglich Kernenergie zu erfüllen? Letztendlich besteht das Ziel darin, die V4 von bloßen Nutzern der Kerntechnologie in Lieferanten umzuwandeln. Allerdings ist Kerntechnologie offensichtlich zu teuer, als dass kleine und mittelgroße Länder sie allein entwickeln könnten. Wenn die V4 ernsthaft von der vierten Generation der Reaktortechnologie profitieren wollen, müssen sie miteinander zusammenarbeiten. Die strategische Arbeitsgruppe für Kernenergie von VINCO war ein Organ von Entscheidungsträgern, die aus der Visegrád-Region und von außerhalb stammten. Sie war eine Plattform für den Austausch von Fachwissen, Meinungen und spezifischer Expertise. Sie etablierte auch Prinzipien für die Zusammenarbeit bezüglich Themen wie: Regeln über den Zugang zur Infrastruktur, Analyse bestehender Forschungsergebnisse, Schulung, Einrichtungen und Kapazitäten, Festlegung von Forschungs- und Entwicklungszielen sowie Entscheidungen über Investitionsprioritäten. Welchen Beitrag leisteten die verschiedenen Mitgliedsstaaten von VINCO? Jedes der VINCO-Länder brachte seine eigene Spezialisierung ein. Die Slowakei konnte Expertise über Design- und Sicherheitskonzepte aufweisen, die Tschechische Republik trug mit Heliumtechnologie und Fachwissen über Forschung und Entwicklung zum Projekt bei, während Ungarn Expertise zu Brennstoffen für gasgekühlte Schnellbrutreaktoren und Polen zu Strukturmaterialien für Reaktoren beisteuerten. So konnten wir Aufgaben innerhalb der Gruppe verteilen. Beispielsweise profitiert ein großes Projekt in Polen namens GOSPOSTRATEG nun unmittelbar von den Ergebnissen des Projekts VINCO, während es den Weg zur Umsetzung der Technologie gasgekühlter Hochtemperaturreaktoren ebnet. Wie wird diese Arbeit die Leben der EU-Bürger verbessern? Eine saubere und verlässliche Energieversorgung ist zweifelsohne eine der großen Herausforderungen, denen entwickelte Länder gegenüberstehen, zum Teil, weil sie sich an die EU-Richtlinien zur Energieerzeugung und zum Umweltschutz anpassen müssen. Um den Ausstoß von Treibhausgasen einzuschränken, muss die Abhängigkeit von Kohle sehr bald reduziert werden, aber praktikable Alternativen sind dünn gesät. In Europa gibt es keine ausreichenden Gas- und Ölvorkommen und erneuerbare Energiequellen spielen im Energiemix aufgrund ihrer unregelmäßigen Verfügbarkeit gegebenenfalls nur eine eingeschränkte Rolle. Die einzige realistische Alternative, die übrig bleibt, ist die Kernenergie – die sicherste, sauberste, verlässlichste und, wie Frankreich zeigt, günstigste Energiequelle. Was sind die nächsten Schritte, um die Arbeit voranzubringen? Die endgültigen Entscheidungen über die Entwicklung von Kerntechnologien werden natürlich von den jeweiligen Regierungen der V4 getroffen. Indem es die Fertigkeiten und Bedürfnisse der V4-Länder genau unter die Lupe nahm, hat VINCO allerdings die Grundlage für eine effektive regionale Zusammenarbeit geschaffen, die zu einer umfassenden Ausnutzung von Kerntechnologien der vierten Generation führen könnte. Einfach ausgedrückt sind wir gemeinschaftlich für die Umsetzungsphase bereit, sobald die notwendigen strategischen Entscheidungen getroffen wurden. Worauf sind Sie bei ihrem Projekt am meisten stolz? Vor VINCO lief der internationale Kontakt zwischen gemeinsam wirkenden Labors in den V4 hauptsächlich über hochrangige Vertreter der Institute wie Direktoren und Professoren. Wenn man bedenkt, dass es mehr als 20 Jahre dauern kann, Kerntechnologie zu entwickeln, ist dies das greifbare Erbe von VINCO. Wir haben etwas erreicht, das meinem Enkel nutzen wird, eine zukünftige Versorgung mit verlässlicher, verantwortungsbewusst gewonnener Elektrizität.

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