Das Hochschulbildungs- und Forschungssystem: Eine Säule für das Wachstum der Wissensgesellschaft
Eine Gruppe von hochrangigen Experten, STRATA-ETAN, hat eine prospektive Studie zu den wichtigsten Herausforderungen für die Hochschulbildung und Forschung in Europa mit dem Titel "Foresight for the development of higher education/research relations in the perspective of the European Research Area (ERA)" (Vorausschau auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen Hochschulbildung und Forschung im Blickwinkel des Europäischen Forschungsraums (EFR)) veröffentlicht. In einem Vorwort stellt der EU-Kommissar für Forschung Philippe Busquin den Kontext heraus, in dem der Bericht erstellt wurde: "Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine wachsende Zahl von Bürgern der Ansicht, dass eine operationellere Ausbildung erforderlich ist, die stärker an den Arbeitsmarkt angepasst ist, aber gleichzeitig verantwortungsvoller und stärker bürgerorientiert ist. Die europäischen Universitäten müssen auf diese Herausforderung reagieren." Der Bericht führt die wichtigsten Themen und Trends für Hochschulbildung/Forschung in einem sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext einzeln auf. Einige der angesprochenen Themen sind: - Die Steigerung der Globalisierung und des Marktmechanismus, die dazu geführt haben, dass die Bildungssysteme schrittweise ihre Funktion als zentrale Instrumente für die nationale Integration verlieren und somit eine transnationale Konvergenz des Hochschulbildungs-/Forschungssystems verursachen; - Die Ausbreitung der Wissensgesellschaft, was in erster Linie bedeutet, dass der Anteil der für Bildung und Freizeit verfügbaren Zeit erheblich steigt; der Bedarf an höheren Berufsqualifikationen; - Demografischer Alterswandel in Europa; - Die Vertrauenskrise in Wissenschaft und Bildung und die paradoxe Art, in der Wissenschaft und Bildung Probleme in der Gesellschaft lösen sollen. Zu den in dem Bericht hervorgehobenen Herausforderungen gehört das Problem der zunehmenden Zahl von Studenten im System, die sich durch Alter, Geschlecht und Hintergrund unterscheiden. Angesichts knapperer Mittel für Hochschuleinrichtungen werden Studenten sowohl direkt als auch indirekt als kritische Einnahmequelle betrachtet, was unausweichlich zu einem erhöhten Wettbewerbsdenken führt. Dies erhöht sicherlich das Konsumdenken im Bildungsumfeld und verursacht ein Dilemma für Hochschuleinrichtungen und Universitäten, deren Absicht, ein "qualitativ hochwertiges Lernumfeld" bereitzustellen, ernsthaft bedroht wird, da die Mittel viel stärker aufgeteilt werden müssen. Diese Reaktionsfähigkeit auf Marktanforderungen führt nicht nur zu Wettbewerb, sondern hat auch Auswirkungen auf die Hochschulbildung in Bezug auf Lehrpläne, Lehrmethoden, Zugang und Beziehungen zu externen Partnern. In den Lehrplänen wird mehr Betonung auf kompetenzbasierte Bildung, Professionalisierung und Beschäftigungsfähigkeit gelegt. Der Bericht erkennt zwar die Vorteile dieses Trends (projektbasierteres Lernen wird gefördert) an, führt jedoch auch die Gefahren eines stärker industrialisierten Systems auf: Reaktionsfähiger zu sein bedeutet, schwierige Entscheidungen zu treffen wie beispielsweise die Entwicklung angewandter Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf Kosten grundlegender Aktivitäten und eine geringere Ausrichtung auf akademische oder disziplinäre Forschungsthemen und stärkere Konzentration auf problembasierte, interdisziplinäre Forschung. Eine weitere Entwicklung im Hochschulbildungs-/Forschungssystem, die der Bericht hervorhebt, ist die Rechenschaftspflicht auf allen Ebenen. Die Beteiligung zahlreicher Akteure am Hochschulbildungs-/Forschungssystem macht es tendenziell schwierig, "[...]die entsprechende organisatorische Ebene zu bestimmen, auf der die Rechenschaftspflicht verwaltet und gefördert werden sollte: Individuell? Abteilung? Fakultät? Institution? Regional? Oder national? Oder auf EU-Ebene?". Diese Situation führt dem Bericht zufolge zu Verwirrung hinsichtlich der Verwaltungsstrukturen und Praktiken dieser Einrichtungen. Der Bericht stellt weiter die möglichen Ansichten politischer Entscheidungsträger bezüglich der oben genannten Trends heraus. Daneben werden in dem Bericht drei mögliche Szenarien zur Demonstration der kausalen Dimension aktueller und künftiger Trends beschrieben. Der Bericht betont die Tatsache, dass politische Entscheidungsträger die Wahl haben und jedes dieser Szenarien verwirklichen können. Busquin beschreibt in seinem Vorwort, wie die Szenarien des Berichts zur Konsolidierung einer wissensbasierten Gesellschaft in Europa beitragen sollten: "Der Vorausschau-Ansatz hat einige Szenarien einer möglichen Zukunft hervorgebracht. Diese Szenarien sollten sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene verwendet werden, um bessere Politiken und Maßnahmen zu definieren, die beim Erreichen der auf dem Rat von Lissabon festgesetzten Ziele umzusetzen sind." Die ersten beiden Szenarien, "Schmelztiegel" und "Markt-Triumph", zeichnen ein weniger rosiges Bild der Zukunft des Hochschulbildungs-/Forschungssystems in Europa, wobei "Laissez-Faire"-Haltungen und die Vermarktung das Hochschulbildungs-/Forschungssystem weiter dominieren. Das dritte Szenario dagegen stellt ein proaktiveres System heraus, das Bildung zu einem demokratischen Recht macht und sich auf die grundlegenden Kompetenzen und das Wissen konzentriert, die im Leben notwendig sind. Das Szenario der "Kreativgesellschaft" funktioniert dem Bericht zufolge unter der Prämisse, dass "[...] Universitäten und öffentliche Forschungszentren in der besten Position sind, um auf kollektive wissenschaftliche und technologische Anforderungen zu reagieren. Dagegen sind Forschungszentren aus dem Privatsektor in der besten Position, um auf die technologischen Innovationsbedürfnisse von Unternehmen zu reagieren". Der Bericht schließt mit mehreren Empfehlungen, um eine rosige Zukunft für die Hochschulbildung und Forschung im Kontext des Europäischen Forschungsraums sicherzustellen. Unter den vielen wichtigen Leitlinien betont der Bericht das Erfordernis, "die Ergebnisse vorheriger Studien zu konsolidieren und Studien und Forschung zu den Beziehungen zwischen Hochschulbildung und Forschung im 6. RP durchzuführen[...]. Weitere Forschung zur Vorausschau in diesem Bereich ist von entscheidender Bedeutung, um relevantere und effizientere Hochschulbildungssysteme aus dem Blickwinkel des EFR zu schaffen". Der Bericht empfiehlt weiterhin, eines der Arbeitsprogramme der Forschung hinsichtlich der Lehrplanentwicklung, Lehrmethoden und Entwicklung von Fähigkeiten zu widmen sowie die Notwendigkeit der öffentlichen/privaten Finanzierung hervorzuheben, um die Zugänglichkeit, Qualität und Unabhängigkeit des europäischen Hochschulbildungs- und Forschungssystem aufrechtzuerhalten. Die STRATA-ETAN-Expertengruppe wurde im Dezember 2001 eingerichtet und erhielt den Auftrag, einen Bericht über Optionen zur Unterstützung der europäischen Zusammenarbeit zu erstellen, in Vorausschau auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen Hochschulbildung und Forschung aus dem Blickwinkel des Europäischen Forschungsraums. Die Gruppe internationaler Experten bestand aus 21 Mitgliedern. Den Vorsitz hatte Maurice Godelier, Berichterstatter war Etienne Bourgeois.