Neue Sicht auf Plattentektonik
Über mehrere wichtige Merkmale der Plattentektonik weiß man jedoch noch nicht genug. Ziel des Projekts GLORY (Global tectonics with realistic lithospheric rheology) ist zu klären, auf welche Weise sich das Wechselspiel zwischen dem tiefen Erdmantel und der Lithosphäre auf die Plattenbewegungen, das Spannungsfeld und die Topografie der Erde auswirkt. Auf Grundlage der neuesten Fortschritte in der rechnergestützten Geodynamik entwickelten die Forscher in Kombination mit plattentektonischen Rekonstruktionen ein hybrides, numerisches, geodynamisches Modell. Diese dienten der Berechnung horizontaler und vertikaler Plattenbewegungen sowie des vertikalen Spannungsfelds mit bislang noch nie erreichter Genauigkeit. Die Wissenschaftler konnten somit Phänomene wie Lithosphärenverformung, Riftzonenstärke und Krustenspannungsfelder in Angriff nehmen. Neben numerischer Modellierung analysierte GLORY gleichermaßen geologische Beobachtungen und geophysikalische Daten. Das neue Instrument „pyGPlates“ wurde entwickelt und zur Untersuchung der Rifthistorie bei globalen Plattenrekonstruktionen eingesetzt sowie eine globale Riftzonendatenbank eingerichtet. Eine Datenbankanalyse ließ erkennen, dass die abnehmende Festigkeit in der Grabenbruchmitte schon lange vor dem Aufbrechen plötzliche Plattenbeschleunigungen erzeugt. Es zeigte sich, dass diese Platten-„Beschleunigung“ die Rifted Margins der Erde durch die nichtlineare Rheologie von Planetenkruste und -mantel signifikant formte, was eine abrupte Plattenbeschleunigung verursachte. GLORY hat weitreichende Einblicke in die Prozesse gewährt, welche die Riftzonen der Erde und ihre Rifted Margins prägen. Dazu zählten Riftzonenmigration, asthenosphärische Strömung und zeitabhängige Evolution des Spannungsfelds innerhalb einer schrägen Rift. Die Forscher entdeckten, dass geodynamische Prozesse innerhalb eines Riftsystems großräumige Plattenbewegungen auslösen können. Überdies werden während des Zerbrechens von Kontinenten die schnellen Plattenbeschleunigungen durch die Abschwächung des Riftsystems gesteuert. Diese Entdeckung hat eine Neuinterpretation der während der Beckenlokalisierung bei der Randbildung ablaufenden Prozesse herbeigeführt. Sie geht davon aus, dass die langsame Phase den proximalen Rand formt, wohingegen die schnelle Phase den distalen Rand beherrscht. Die von GLORY-Projekt durchgeführte Analyse erklärt außerdem größere Relativbewegungsraten an Störungen, schnellere Absenkungen, höhere Wärmeflusswerte, verstärktes teilweises Schmelzen und damit verbundene Unterplattungen oder Vulkanismus. Diese neuen Ergebnisse haben direkte Auswirkungen auf das Heranreifen von Georessourcen an den Rifted Margins der Erde. Das neue Hybridmodell wird ein weitaus tieferes Verständnis der heutigen Geodynamik ermöglichen und ist im Prinzip auf jeden beliebigen erdgeschichtlichen Augenblick anwendbar. Von diesen Resultaten wird nicht nur die geodynamische Gemeinschaft im weiteren Sinne, sondern werden gleichermaßen Gebiete profitieren, die sich mit Sedimentbeckenevolution, Petrologie und Krustenspannungsfeldern beschäftigen.
Schlüsselbegriffe
Plattentektonik, Geodynamik, GLORY, Grabenbruch, Rift, Riftzonen, Spannungsfeld