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Nanotechnologie: Chance oder Risiko?

"Die Innovation ist der Gesetzgebung einen Schritt voraus", sagte die britische Abgeordnete im Europäischen Parlament Caroline Lucas auf dem ersten internationalen Seminar über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Nanotechnologie, das am 11. Juni im Europäischen Parlament s...

"Die Innovation ist der Gesetzgebung einen Schritt voraus", sagte die britische Abgeordnete im Europäischen Parlament Caroline Lucas auf dem ersten internationalen Seminar über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Nanotechnologie, das am 11. Juni im Europäischen Parlament stattfand. Bei der Nanotechnologie handelt es sich um eine neuartige Fertigungstechnik, um Produkte kleiner und stärker zu machen. Die in der nanotechnologischen Forschung oder Fertigung benutzten Partikel sind für das menschliche Auge unsichtbar, denn ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter. Zum Vergleich: Ein Haar eines Menschen hat einen Durchmesser von 80.000 Nanometer. Die Teilnehmer waren sich zwar einig, dass die Nanotechnologierevolution viele Vorteile bringt, doch die meisten hatten auch Bedenken, die gleich mehrere Bereiche - von der menschlichen Gesundheit über Umweltauswirkungen, Auswirkungen auf den Welthandel und die Entwicklungsländer bis hin zur Verbreitung in Rüstungsgütern - betrafen. Am meisten Kopfzerbrechen bereitete den Teilnehmern jedoch die Tatsache, dass eigentlich niemand weiß, zu welchen Entwicklungen die Nanotechnologie führt. Auf Grund dieser Wissenslücke sprachen sich verschiedene Delegierte für ein Moratorium für bestimmte Aspekte des Einsatzes der Nanotechnologie und der Forschung in diesem Bereich aus. "Ich bin nicht gegen neue Technologien, will aber über deren Folgen Bescheid wissen", sagte Dr.Lucas. "Das Mindeste, was jetzt angebracht ist, ist ein Moratorium für Hautpflegeprodukte", sagte sie und erntete dafür Beifall von mehreren anderen Rednern. Kaum jemand weiß, dass auf Grundlage der Nanotechnologie entwickelte Produkte bereits zum Alltag gehören. Gesichts- und Sonnencreme sind nur zwei Beispiele. Laut Dr. Lucas bestehen jedoch Hinweise darauf, dass solche Cremes, die in die Haut einziehen, möglicherweise mutagen und karzinogen sind. Diese Gesundheitsrisiken wurden auch von Vyvyan Howard, einem Toxikologen der Universität Liverpool (VK), angesprochen. Wie er erklärte, können Nanopartikel auf drei Wegen in den Körper gelangen: durch Einatmen, über die Nahrung und über die Haut. "Das Einatmen von sehr kleinen Partikeln besitzt eine toxische Wirkung, und es spielt dabei scheinbar keine Rolle, aus was sie bestehen", sagte Dr. Howard. Ausschlaggebend sei die Größe, sagte er, wobei er Sorgen wegen Partikeln in der Größenordnung zwischen 65 und 200 Nanometer ansprach, denn die Toxizität steigt, je kleiner die Partikel sind. "Außerdem macht uns Sorgen, dass niemand weiß, wohin die Partikel im Körper wandern", sagte Dr. Howard. Die Pharmaindustrie hat bereits festgestellt, dass ein Medikament schneller ins Gehirn gelangen kann, wenn es auf ein Nanopartikel aufgesetzt wird. "Wenn es [das Nanopartikel] bis ins Gehirn gelangt, kann es meines Erachtens auch in einen Fötus vordringen", so Dr. Howard. Er forderte daher eine eingehendere Erforschung dieser Folgen und ermahnte die Wissenschaft zu mehr Zusammenarbeit: "Die einzelnen Forscherteams gehen unabhängig voneinander vor und verständigen sich nicht untereinander. Das muss sich aus meiner Sicht ändern." Eine Möglichkeit, um die Zusammenarbeit zu intensivieren, ist das Sechste Rahmenprogramm der Europäischen Kommission, zu dessen vorrangigen Themenbereichen die Nanotechnologie gehört. Diesem Bereich wurde für den Zeitraum 2003 bis 2006 ein Haushalt in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zugewiesen. Wie Renzo Tomellini, der Leiter des Referats "Nanowissenschaft und Nanotechnologie" innerhalb der Kommission, erläuterte, wolle die Kommission über die Finanzierung solcher Forschungsmaßnahmen neue wirtschaftliche Chancen erarbeiten und die Lebensbedingungen der europäischen Bürger verbessern. Was die Besorgnis über die möglichen Folgen der Nanotechnologie anbelangt, betonte Tomellini, sobald ein Risiko erkannt werde, müsse es untersucht werden. Dr. Jürgen Altmann von der Universität Dortmund wies auf die möglichen Auswirkungen der Nanotechnologie auf militärische Operationen hin. Das Militär, so Dr. Altmann, habe bereits in den Achtzigerjahren damit begonnen, auf diesem Gebiet zu forschen. Diese Maßnahmen seien in der letzten Zeit sogar noch ausgeweitet worden, insbesondere in den USA. Dr. Altmann zufolge arbeiten Forscher in den USA zurzeit an einem Kampfanzug, der gleichzeitig vor Strahlung schützt und bei einer Verwundung des Soldaten als Kompresse dient. Weitere vorstellbare Einsatzgebiete seien die Verbesserung der Überwachung, Bomben in Kugelschreibergröße, die eine ganze Stadt in Ruinen verwandeln könnten, und, was Dr. Altmann am meisten beunruhigt, die Manipulation des menschlichen Körpers, um Soldaten belastungsfähiger zu machen, Verwundungen schneller zu heilen und Reaktionen zu beschleunigen. Des Weiteren befürchtet Dr. Altmann, dass es nur ein kleiner Schritt bis zur Nutzung einer solchen Technologie im zivilen Leben sein wird, wenn sie erst einmal vom Militär eingesetzt wird. Daher befürwortet er ein Moratorium für nicht medizinisch begründete Implantate. Ferner forderte Dr. Altmann die USA, den Vorreiter in der einschlägigen Forschung, zur Zurückhaltung auf: "Die Vereinigten Staaten haben einen so großen Vorsprung, dass sie sich eine leichte Verlangsamung ihrer Tätigkeiten leisten können. Damit wäre mehr Zeit für eine internationale Vereinbarung über die Grenzen [dieser Technologie]." Auch Pat Mooney, Exekutivdirektor der Aktionsgruppe ETC (Erosion, Technology and Concentration), betonte, man sollte zunächst abwarten und Untersuchungen anstellen. "Weiß die Politik überhaupt, welche Technologie auf uns zukommt?", fragte Mooney. "Die meisten Politiker haben keine Vorstellung davon. Im Übrigen ist sie bereits Realität", sagte er. Aus seiner Sicht ist der Staat, was die Einschätzung der möglichen Folgen angeht, zurzeit auf dem Stand von vor fünf Jahren. "Was für Gesundheit und Umweltbelange, die Prioritäten darstellen müssen, gilt, gilt ebenso für die Auswirkungen auf die Wirtschaft und deren Kontrolle, denen unbedingt mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss", sagte Mooney bezüglich seines Hauptanliegens. Die Nanotechnologie werde dazu führen, dass in Zukunft andere Rohstoffe als heute von grundlegender Bedeutung sein werden, was für die Entwicklungsländer, die mehrheitlich auf ihre Rohstoffausfuhren angewiesen sind, dramatische Folgen haben wird. Dr. Vandana Shiva von der Indischen Forschungsstiftung für Wissenschaft und Technologie ging ebenfalls auf die Folgen für die dritte Welt ein und kritisierte den Stil, in dem manchen Ländern vorgerechnet wird, dass sie sich entweder an die Nanotechnologie anpassen oder unterentwickelt bleiben müssen. Darüber hinaus beanstandete sie die Art und Weise, in der die Nanotechnologie eingesetzt wird: "Nanotechnologien werden zurzeit in einer Weise dargestellt, die ein Verrat an der Wissenschaft ist, auf der sie basieren. In einer Zeit, in der die Wissenschaft tiefere Einblicke in die Welt ermöglicht, werden die Zahlen mit wissenschaftlichen Argumenten abgetan", sagte sie. Für Mooney sind die Auswirkungen im Bereich der geistigen Eigentumsrechte ein weiterer Grund zur Besorgnis, denn es sei vorstellbar, dass ein einziges Patent für viele Sektoren der Industrie bestimmend ist, da es deren Grundlagen insgesamt abdecken könnte. "Damit werden die meisten Diskussionen über die Patentierung des Lebens gegenstandslos, denn dies geht über das Leben hinaus. Hier geht es um die Eigentumsverhältnisse an der Natur", so Mooney. Darüber hinaus warnte Mooney davor, dass "die Koalition zwischen Wirtschaft und Staat alles noch verschlimmert. Sie schützt angeblich die Interessen der Gesellschaft - gemeint ist damit jedoch die Wirtschaft." Für Mooney ist die Tatsache, dass Forscher in ganz unterschiedlicher Weise mit Nanopartikeln umgehen, ein weiterer Grund, um in der Nanotechnologie abzuwarten und eine Bestandsaufnahme zu machen. Während südafrikanische Wissenschaftler Nanopartikel so handhaben, als hätten sie es mit Aidsviren zu tun, würden andere, darunter auch europäische Kollegen, lediglich einen Mundschutz "wie in der U-Bahn von Tokio" tragen. "Das ist ungefähr so, als wolle man sich mit einem Volleyballnetz gegen Moskitos schützen", meinte Mooney. Doug Parr, der leitende Wissenschaftler der britischen Delegation von Greenpeace, zog einen Vergleich zwischen dieser aktuellen Kontroverse und der etwas älteren Debatte über genetisch veränderte Organismen (GVO). Wie Dr. Parr erklärte, waren GVO für die Politik zunächst praktisch kein Thema. Seines Erachtens darf die Politik grundsätzlich nicht von kleinen, aus Experten und Bürokraten bestehenden Gruppen gemacht werden. Die EU solle in Technologiefragen eine Vermittlerrolle einnehmen, indem sie ein Anwender- oder gesellschaftliches Forum einrichtet. Die Regierung des VK, die am 11. Juni eine Studie über die möglichen Vorteile und Probleme in Auftrag gegeben hat, ist sich scheinbar bereits über die notwendige intensivere Forschung bewusst. Auf der Konferenz des Europäischen Parlaments wurden aber nicht nur zahlreiche mögliche Gefahren, darunter auch eine mögliche Gefährdung durch autonome selbstreplizierende Nanoroboter, sondern auch mehrere mögliche Vorteile angesprochen. Produkte wie selbstreinigende Hosen und rissfeste Farbe sind bereits auf dem Markt, und zukünftig könnte es Lösungen geben, um auch kleinste Schadstoffe wie z.B. Treibhausgase in der Atmosphäre zu entfernen. Zum Abschluss der Konferenz empfahl Dr. Lucas der Politik, die richtigen Fragen zu stellen, und betonte, zuallererst müsste verhindert werden, dass "diejenigen, die am meisten zu gewinnen haben (die großen Konzerne), der Gesetzgebung zuvorkommen". In der EU sei dies aus ihrer Sicht unwahrscheinlich, wenn nicht sehr viel Druck ausgeübt werde. Sie forderte die Kommission auf, die Sicherheitsbelange insgesamt zu berücksichtigen.

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