Neue Erkenntnisse zur Genexpression
"Bekannt ist, dass alle Körperzellen die gleiche DNA-Sequenz haben und sich die einzelnen Gewebe darin unterscheiden, welche Untergruppen von Genen ein- und ausgeschaltet werden", erklärt Daphne Cabianca, Forscherin des Projekts CHROMO-ANCHORING. "Obwohl dies hauptsächlich durch Transkriptionsfaktoren geschieht, muss noch geklärt werden, inwieweit dies durch epigenetische Modifikationen verändert werden kann, die die DNA-Sequenz für Transkriptionsfaktoren zugänglich machen." So befasste sich die Forschergruppe um Cabianca mit der Frage, ob die räumliche Positionierung der DNA im Zellkern auch Einfluss auf die Programmierung der Genexpression hat. "Ich wollte herausfinden, welche Faktoren die Sequestrierung von Chromatin in einem inaktiven, unzugänglichen Zustand an der Kernperipherie differenzierter Zellen vermitteln", erklärt Cabianca. "Langfristig war die Frage, ob die räumliche Organisation wichtig ist, um differenzierte Muster der Genexpression aufrechtzuerhalten, und wie sich dies bei Stress verändert." Redundanz bei Signalwegen Histone sind die häufigsten Bausteine im Chromatin und bilden eine hoch repetitive Einheit, die das DNA-Molekül verdichtet. Die Histone selbst werden in verschiedenster Weise chemisch modifiziert, was sowohl vor als auch während der DNA-Bindung geschieht. Nach dieser Modifizierung regulieren Histone die Flexibilität des Chromatins, aber auch die Genexpression. "Chromatin, bei dem die Verteilung dieser Histonmodifikationen ausschlaggebend ist, kann in zwei Hauptklassen eingeteilt werden: Euchromatin mit aktiven Genen einerseits und Heterochromatin mit dauerhaft inaktivierten Abschnitten des Genoms anderseits", sagt Cabianca. "Bei allen Spezies haben diese beiden Klassen von Chromatin konservierte, aber unterschiedliche Funktionen und sind an verschiedenen Stellen im Zellkern lokalisiert." Im Nematodenwurm C. elegans ist die Ablagerung eines spezifischen Lysins 9 von Histon H3 (H3K9me), das die Methylierung modifiziert, ein wesentliches Signal für die räumliche Segregation des Heterochromatins an der Kernhülle, die den Zellkern als Doppelmembran umgibt. Diese Modifikation wird auch von Proteinen erkannt, die Chromatin transkriptionell inaktivieren (Heterochromatin). Die Sequestrierung an der Kernperipherie und Abwesenheit transkriptioneller Aktivität wird daher über die Modifikation des H3K9-Histons in der embryonalen Entwicklung koordiniert. Bei der Differenzierung embryonaler Zellen in unterschiedliche Gewebe beobachtete Cabianca jedoch bei Würmern ohne H3K9me-Signal noch immer eine Heterochromatinsegregation an der Kernhülle (Wildtyp-Nematoden). Dies legt die Aktivität eines anderen Signalwegs nahe, der ohne das K9-Methylierungssignal auskommt und Heterochromatin an der Kernperipherie in differenzierten Geweben zurückhalten kann. Möglicherweise ist dieser zweite Pfad redundant, sodass die beiden Signalwege einander verstärken würden. Auch könnte der alternative Signalweg die H3K9-Methylierung vollständig ersetzen, damit die Segregation des Euchromatins vom Heterochromatin in differenzierten Zellen stattfindet. "Die Erforschung von Proteinen, die diesen Segregationsmechanismus in Zellkernen von Darmzellen steuern, war die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte", sagt Cabianca. Entdeckung des Proteins MRG-1 Ein Screening von Proteinen, bei denen vermutet wird, dass sie Histonmodifikationen erkennen, enthüllte das Protein MRG-1. Dessen Verlust ablatiert die klare Trennung des Heterochromatins vom Euchromatin in Darmzellen. Das Protein ist bei allen Spezies von der Hefe bis zum Menschen konserviert. Offenbar bindet es Histone, die den Methylierungsmarker auf H3K36 tragen - einem anderen Lysin von Histon H3. Fehlt das Histon, wird Heterochromatin und Euchromatin zufällig verteilt - das aktive Chromatin befindet sich nicht mehr ausschließlich im Innern des Zellkerns und das inaktive Chromatin nicht mehr nur an der Peripherie. "Einen derartig starken Effekt gab es jedoch nur, wenn wir auch die H3K9-Methylierung entfernten. Dies bestätigt, dass es zwei redundante Wege für die Trennung von Chromatin in differenzierten Zellen gibt und keinen einzelnen in Geweben, der den Mechanismus bei der Embryonalentwicklung ersetzt", erklärt Cabianca. Anders als bei der H3K9-Methylierung sind die neu entdeckten Akteure der räumlichen Organisation des Chromatins nicht Teil des Heterochromatins, sondern des Euchromatins. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Komponenten dieses zweiten Wegs indirekt die Anlagerung von Heterochromatin an der Kernperipherie antagonisieren", fügt Cabianca hinzu. Eine neue Hypothese Wie die Forscher herausfanden, ist bei diesem Antagonismus räumlicher Trennung ein zweiter hochkonservierter Faktor im Euchromatin beteiligt - eine Histon-Acetyl-Transferase (HAT). Diese HAT modifiziert dieselben Lysinreste in Histonen, die methyliert werden können, die Acetylierung ist jedoch charakteristisch für aktive Gene. "Wir vermuten, dass die aktive Markierung nun in die Heterochromatindomäne "eindringt" und der Kompartimentierung entgegenwirkt, die normalerweise Struktur im Zellkern herstellt", schließt Cabianca. "Es gibt also zwei Arten von Mechanismen der räumlichen Organisation von Chromatin im Zellkern: zum einen erfolgt eine positive Sequestrierung von repressivem Chromatin, der andere Mechanismus hält Faktoren, die den ersten Weg antagonisieren, von inaktiven Domänen fern.
Schlüsselbegriffe
CHROMO-ANCHORING, Genexpression, DNA, Chromatin, Histone