Forschung jetzt Teil der europäischen Identität, sagt scheidender MEP Rolf Linkohr
Das vergangene Viertel Jahrhundert diente Rolf Linkohr als deutsches Mitglied des Europäischen Parlaments, und während dieser Zeit war er Zeuge großer Umbrüche beim Ansatz der Gemeinschaft zu Wissenschaft und Technologie. Dr. Linkohr bestätigt seine Absicht, sein Amt vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament am 10. Juni niederzulegen. Doch bevor er sein Amt verlässt fragt CORDIS News ihn nach der Entwicklung der EU-Forschungspolitik während seiner Amtszeit. "Vor 25 Jahren betrug das Forschungsbudget der Union 120 Millionen Euro im Jahr; heute sind es mehr als 4 Milliarden Euro im Jahr - das ist ein bedeutender Schritt nach vorn," führt Linkohr aus und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass die nächste Generation an europäischen politischen Entscheidungsträgern auch in Zukunft diesem Trend folgen werde. "Das ist das Wichtigste." Beinahe genauso wichtig ist die veränderte Einstellung, die Dr. Linkohr seit seiner Ankunft in Brüssel 1979 beobachtet hat. "Am Anfang herrschten nationale Haltungen vor, aber jetzt gibt es ein europäisches Netzwerk. Das Konzept des Europäischen Forschungsraums zeigt, dass wir in unserem Ansatz viel europäischer sind als vorher." "Die Forschung stellt nicht länger ein technisches Mittel zur Lösung von Problemen dar, sondern ist Teil der europäischen Identität geworden," stellt er fest. Dr. Linkohr kann auch unter den führenden Mitgliedstaaten der EU eine Änderung in der Einstellung beobachten. Die Regierungen hätten verstanden, dass zukünftiger Erfolg und Wohlstand von den Bemühungen in Bildung, Wissenschaft und Technologie abhingen, erklärt er. Den Politikern sei nun die Notwendigkeit von Investitionen in die Forschung und Entwicklung (FuE) vollkommen bewusst, auch wenn sie nicht immer das täten, was erforderlich sei. "Wenigstens gibt es das Gefühl eines schlechten Gewissens, wenn nicht gehandelt wird," fügt Dr. Linkohr hinzu. Eine der bedeutendsten Kampagnen Linkohrs in den letzten Monaten war sein Versuch, den Anteil des EU-Haushaltes, der für Forschung ausgegeben wird, bedeutend zu steigern. Sein Eigeninitiativbericht, der vom Parlament im November 2003 angenommen wurde, forderte eine 70%-ige Erhöhung des Rahmenprogrammbudgets und die Gründung eines European Research Council (ERC) um aus dessen Mitteln die Grundlagenforschung zu finanzieren. "Das Parlament unterstützt die mutigen, von der Kommission eingereichten Vorschläge in ihren finanziellen Vorausschauen, aber wir müssen abwarten, was mit den Vorschlägen im Rat passiert," erläutert Linkohr. Es sei aber nicht allein eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der Art und Weise, wie die EU-Ausgaben für Forschung strukturiert seien, so Linkohr weiter und beschreibt CORDIS News seine Vision einer europäischen Forschungspolitik, die auf drei Säulen ruhe. Als erstes nennt er das Rahmenprogramm, das in erster Linie die angewandte Forschung unterstützen soll. Dann führt er den ERC an, obgleich Linkohr zugeben muss, dass über die Struktur eines solchen Organs eingehender gesprochen werden muss. Als dritte Säule schlägt Dr. Linkohr die Einrichtung eines neuen europäischen Innovationsraums vor, dessen Schwerpunkt die Verbesserung der Forschungs- und Innovationskapazität kleiner und mittlerer Unternehmen (KMUs) in Europa sei. "Die KMUs sind die wahre Schwachstelle in Europa," kommentiert er. Ein anderer Bereich, in dem sich Europa einigen Schwierigkeiten gegenüber sah, war die ethische Beurteilung der Forschung. "Die Diskussionen über die Forschungsmoral bei Biotechnologie, Nuklearenergie und Stammzellen haben erneut unsere nationalen Empfindsamkeiten sichtbar gemacht. Wenn wir einen echten ERA wollen, dann müssen wir auf europäischer Ebene Kompromisse eingehen," glaubt Dr. Linkohr. Die Einrichtung des Europäischen Parlaments zur Bewertung von Technologie, STOA (Scientific and Technological Options Assessment), der Dr. Linkohr von 1989 bis 1994 vorsaß, habe dabei geholfen, auf europäischer Ebene ethische Fragen aufzuwerfen, sagt Linkohr, und die Kommission habe auch ihren Teil beigetragen. Allerdings sei er der Ansicht, dass diesem Problem größere Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Auf die Frage nach anderen Bereichen, in denen die EU ihre Bemühungen verstärken müsse, betont Dr. Linkohr die Bedeutung der weltweiten Zusammenarbeit, insbesondere mit den Entwicklungsländern. "Die Forschung hat einen kulturellen und philosophischen Hintergrund, der sich durch Neugier und Optimismus auszeichnet und der anerkannt werden muss. [...] Wenn wir diese Bemühungen mit der restlichen Welt teilen würden, könnte dies eine neue Renaissance signalisieren und Europa zum neuen Forschungsmittelpunkt in der Welt machen." Dr. Linkohr hat eine Botschaft an die neuen MEPs und Kommissare, die den Stock dort aufheben werden, wo ihre Vorgänger ihn fallen lassen: "Sie müssen stark in ihren finanziellen Vorausschauen sein, für eine größere Rolle der Forschung kämpfen und Verbündete gewinnen im Kampf um einen größeren Anteil am Gemeinschaftsbudget für die FuE." Er habe keine konkreten Pläne für die Zeit nach Verlassen des Europäischen Parlaments, sagt Dr. Linkohr. "Aber was immer ich auch tun werde, mein Ziel wird es nach wie vor sein, dieses europäische Projekt voranzubringen. Ich werde nie damit aufhören, die Wissenschaft und Technologie in Europa zu fördern."