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"Rural Development, Food Security and Political Stability in Iraq"

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Geopolitik und Ernährungssicherheit – Kontrolle und Macht

Wenn man an Machtkämpfe im Mittleren Osten denkt, denkt man wahrscheinlich an Öl. Aber für Sicherheit und verantwortungsvolle Staatsführung spielt ein anderes Gut eine noch wichtigere Rolle. Ein von der EU gefördertes Projekt hat Lebensmittel in den Mittelpunkt gestellt.

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Das Projekt RUDEFOPOS-IRAQ hat die Rolle von Ernährungssicherheit und ländlicher Entwicklung in der jeweiligen Politik aktueller und ehemaliger Regimes im Irak untersucht. Es befasste sich mit der Frage, inwieweit vorherrschende Netzwerke von Vetternwirtschaft und Pacht neben gewalttätigen Konflikten Einfluss auf die internen Beziehungen des Landes haben. „Wir haben Satellitenbilder, private Materialien, zugespielte Dokumente des IS und Zeitungsquellen analysiert und konnten damit zeigen, dass Landwirtschaft bei der Finanzierung der Terrorgruppe eine wichtige Rolle gespielt hat“, sagt Dr. Eckart Woertz, Forschungsbeauftragter am Barcelona Centre for International Affairs in Barcelona, Spanien. Herauszufinden, welche Rolle Vetternwirtschaft und Pachtsysteme für regionale Stabilität und Staatsführung spielen, war in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung – von dem nahezu unmöglichen Zugang zum vom IS kontrollierten Gebiet ganz zu schweigen. Das Projekt war zweigleisig angelegt, sodass die Forscher historische Dokumente analysierten und sich auch mit Hilfe des Internets, von Satellitenbildern und einer Exkursion in die autonome Region Kurdistan ein genaues Bild von der aktuellen Lage machten. Der Zugang zu historischen Dokumenten hatte seine ganz eigenen Schwierigkeiten. Über elf Millionen Akten, die im Zuge der US-Belagerung des Irak 2003 in die USA gebracht worden waren, sind an der Hoover Institution der Stanford University eingelagert. Neben der Frage, welche Materialien aus der großen Menge analysiert werden sollen, hatte das Projekt auch mit Zeitdruck zu kämpfen. Unterlagen aus der irakischen Regierung sowie aus Saddam Husseins Präsidentenbüro waren an der National Defence University in Washington untergebracht. Diese wurde allerdings 2015 geschlossen als das Projekt bereits in vollem Gange war, sodass Dr. Woertz seine Analysen schnell durchführen musste bevor die Türen endgültig geschlossen würden. Um die aktuelle Lage zu erfassen, arbeitete Dr. Woertz auf Basis einer Online-Umfrage, die mit irakischen Akademikern aus dem ganzen Land durchgeführt worden war, und Experteninterviews, die er auf einer Exkursion in Kurdistan selbst geführt hatte. Durch das fragile Sicherheitssystem war es unmöglich, woanders Haushaltsbefragungen durchzuführen, aber, wie Dr. Woertz sagt: „Ich konnte auch auf ältere, umfassendere quantitative Umfragen des Welternährungsprogramms (WFP), der Weltbank und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zurückgreifen.“ In Zusammenarbeit mit Hadi Jaafar von der Amerikanischen Universität Beirut nutzte er Satellitenbilder, um vom IS kontrolliertes Gebiet einsehen zu können. Dadurch konnten sie zeigen, wie sich die landwirtschaftliche Erzeugung unter dem IS 2014-15 entwickelt hat. „Aus allen Ergebnissen geht hervor, dass Ernährungssicherheit und Landwirtschaft in der Politik des Irak eine äußerst wichtige Rolle gespielt haben, spielen und weiterhin spielen werden. Während der UN-Sanktionen 1990-2003 waren Ernährungssicherheit und Landwirtschaft die Eckpfeiler im strategischen Kalkül von Saddam Husseins Regime.“ Gleichzeitig zeigt das Projekt die Bedeutung von Landwirtschaft als Finanzierungsquelle des IS, nachdem dieser große Teile der beiden Kornkammern in Syrien und dem Irak – besonders die Provinzen Dschazira und Ninawa – erobert hatte. „Unsere Arbeiten zur Landwirtschaft als Finanzierungsquelle des IS sind bahnbrechend und auch unabhängig von der Existenz der Gruppe als Protostaat von Relevanz, wobei das ja nun vorbei ist.“ In Fragen der aktuellen Ernährungssicherheit im Irak weisen qualitative und quantitative Umfragen darauf hin, dass die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit politische Themen als Hauptproblem sieht. „Technokratische Ansätze allein (z B. Verbesserung von Bewässerung oder Planung von Ernährungsmaßnahmen) werden nicht ausreichen“, erklärt Dr. Woertz. „Ich denke es wäre gut, wenn Fragen der Ernährungssicherheit in der europäischen Entwicklungs-, Sicherheits- und Außenpolitik für den Mittleren Osten höhere Priorität bekommen würden. Ob nun der Wiederaufbau Syriens oder politische Stabilität im Irak, Ernährungssicherheit und Landwirtschaft werden weiterhin eine äußerst wichtige Rolle spielen. Ich hoffe, dass RUDEFOPOS-IRAQ dafür ein stärkeres Bewusstsein schaffen konnte,“ sagt er abschließend.

Schlüsselbegriffe

RUDEFOPOS-IRAQ, Ernährungssicherheit, Geopolitik, Irak, Staatsführung, Landwirtschaft, Syrien, interne Beziehungen

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