Eine Vision für die europäische Grid-Forschung
Am 15. September haben sich hunderte von technischen Experten, Führungskräfte aus der Wirtschaft sowie politische Entscheidungsträger in Brüssel bei der Einführung von 12 EU-finanzierten Grid-Forschungsprojekten zusammen gefunden. Die Kommission hat die Gelegenheit genutzt, um eine Plenarsitzung zu organisieren, bei der ein strategisches Forschungsprogramm für diesen neu entstehenden High-Tech-Bereich beleuchtet werden sollte. Das Grid wurde als eine Umgebung definiert, die den koordinierten Ressourcenaustausch und die koordinierte Problemlösung zwischen Einzelpersonen, Institutionen und virtuellen Organisationen ermöglicht. Die ersten Grids wurden innerhalb verschiedener Forschungsgemeinschaften als Antwort auf den zunehmend steigenden Bedarf an Rechnerleistung entwickelt. Noch existiert allerdings kein einheitlicher Entwurf, in dem Design und Aufbau dieser Netzwerke niedergeschrieben sind und viele Gesichtspunkte müssen noch definiert werden. Es werden Milliarden von Euro in Grid-Forschungsprogramme weltweit investiert, und so scheint es unvermeidbar, dass diese Hochgeschwindigkeitsnetzwerke ein Merkmal unserer technologischen Zukunft sein werden. Laut Peter Zangl, stellvertretendem Generaldirektor der GD Informationsgesellschaft der Kommission, werden diese Netzwerke in den folgenden Jahrzehnten nicht nur von Foschern genutzt werden: "Grids haben das Potential, die Art unserer Geschäftsführung zu revolutionieren." Peter Zangl ist überzeugt, dass die Grid-Technologie fünf entscheidende Vorteile haben wird: Verbesserung der Qualität von Produkten und Dienstleistungen, Reduzierung der Gesamtbesitzkosten, Schaffung und Bereitstellung von 'Überall- und-jederzeit-Dienstleistungen (so genanntes Ambient Computing), Beitrag zur nächsten Generation von Internetanwendungen, und Bereitstellung einer Infrastruktur als wichtiges Rückgrat. Angesichts dieser mit der Technologie verbundenen Hoffnungen sind Grids von der Kommission zu einem ihrer wichtigsten strategischen Ziele im Rahmen des Schwerpunkts 'Technologien für Informationsgesellschaften (TIG) innerhalb des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) erklärt wurden. Außerdem wurde eine spezielle Grid-Abteilung eingerichtet, die die Implementierung des Programms überwacht. Zu den 12 Projekten, die den Teilnehmern von der Kommission vorgestellt wurden, gehörten auch mehrere breit angelegte internationale Initiativen. Das gesamte EU-Investitionsvolumen für diese 12 Projekte beträgt 52 Millionen Euro. Dies ist der erste Teilbetrag von insgesamt 120 Millionen Euro, die bis 2006 in Grid-Projekte investiert werden sollen. Angesichts dieser Finanzierungshöhen, dem Ausmaß der Forschungsorganisation sowie den ergänzenden verschiedenen nationalen Initiativen erwartet die Kommission, dass Europa im Bereich der Grid-Technologie eine führende Rolle einnimmt. Aber noch immer ist ein hohes Maß an Forschung und Innovation notwendig. Am Vormittag diskutierten alle am Prozess Beteiligten in einer Sitzung die wichtigsten Meilensteine. Davin Snelling von Fujitsu hat dem Thema als Vorsitzender der kommissionseigenen Expertengruppen zum Thema 'Grids der nächsten Generation bereits sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Gruppe wurde mit dem Ziel zusammengesetzt, einen Plan für die aktuellen wissenschaftlichen Grids einschließlich eines fünf- bis siebenjährigen Zeitrahmens zu erstellen, um sich auf die laufenden Maßnahmen in den richtigen Bereichen konzentrieren zu können. Die Gruppe hat das Grid der nahen Zukunft aus drei Perspektiven betrachtet: Endnutzer, Architektur und Software. Laut Aussage von Dr. Snelling kann das Grid aus Sicht der Nutzer Prozesse von wenigen Millisekunden ausführen und dabei enorm große Datensätze verarbeiten. Außerdem nehmen die Nutzer eine Marktvirtualisierung fern von physikalischen Mechanismen wahr. Während die Nutzer des heutigen Internets eher die Rolle eines externen Beobachters einnehmen, werden Grid-Anwender im Gegensatz dazu selbst 'Knoten im Netzwerk sein. "Nicht nur der Nutzer selbst stellt dem Grid Fragen, sondern er kann auch vom Grid befragt werden", sagt Dr. Snelling. Und wenn wir uns weiter auf dem Pfad bewegen, der von Daten zu Informationen und von Informationen zu Wissen führt, wird das Grid einen leistungsstarken, aber bezahlbaren Dienst zur Aufdeckung von Wissen bereitstellen. Mit Hinblick auf die Architektur lässt sich sagen, dass das Grid virtuell und weit verbreitet sein wird - es wird uns in unserem täglichen Leben immer dann zur Verfügung stehen, wenn wir es brauchen. Die dynamische Servicebereitstellung des Grids sorgt dafür, dass sich Leistungen in Übereinstimmung mit den Nutzerbedürfnissen selbst erzeugen. Das nennt Dr. Snelling 'selbstorganisierende Ökologie. Was die architektonischen Eigenschaften betrifft, so muss das Grid einfach, flexibel und direkt zu verwalten sein und es muss die nötige 'Transparenz in dem Sinne gewährleistet sein, dass der Nutzer nicht jeden einzelnen Knoten des Netzwerkes wahrnimmt. Der auf dieser Stufe wichtigste Aspekt beim Thema Software ist Interoperabilität. Dafür ist eine Zusammenarbeit bei den Normen erforderlich. "Da es nicht nur ein einzelnes Grid geben wird, ist die Interoperabilität eine unerlässliche Voraussetzung", argumentiert Dr. Snelling. Nachdem die Expertengruppe eine Vision der nächsten Grid-Generation erzeugt hat, wurde für die EU die zukünftige Richtung definiert. Wichtigstes Ziel ist den Aussagen zufolge die Aufrechterhaltung der Führungsrolle der EU bei der Grid-Forschung sowie der wirtschaftlichen Entwicklung und Standardisierung. Um das zu erreichen, müssen die traditionellen Stärken der EU genutzt werden. Dazu gehören zum Beispiel die soziale Vielfalt, die kollaborative Herangehensweise an Forschung und Wirtschaft, die Erfolgsgeschichte im Bereich Semantik und Ontologieforschung sowie die Erfahrungen bei eingebetteten Systemen. Laut Wolfgang Boch, Leiter der Abteilung Grid-Technologien innerhalb des GD Informationsgesellschaft, hat der europäische Charakter die gemeinsame Vision für das Grid bereits maßgeblich beeinflusst. Die gesellschaftliche Dimension spielt in der Vision der EU eine weitaus größere Rolle als zum Beispiel in den USA. Dort liegt der Schwerpunkt eher auf der Leistung von Spitzenrechnern. Wolfgang Boch erläuterte, dass es in Europa dagegen mehr darauf ankommt, die gesamte Palette von technischen Geräten in den Dienst der gesamten Gesellschaft zu stellen. Laut Wolfgang Boch muss Europa seine Leistungen bei der Übermittlung und Nutzung von Forschungsergebnissen noch weiter verbessern. "Dies ist der wichtigste Bereich für zukünftige Verbesserungen bei unseren Anstrengungen. Wir haben hervorragende Forschungskapazitäten in Europa, sind aber noch zu wenig auf dem Gebiet der Kommerzialisierung tätig", fügte er hinzu. Isidoro Padilla, Geschäftsführer der in Spanien ansässigen weltweit tätigen Telefongesellschaft Telefónica, ist überzeugt, dass der Grund hierfür darin liegt, dass die europäische Grid-Gemeinschaft bis heute zu stark akademisch orientiert war. Die Einführung von Projekten erfolgte aus rein technischen Gesichtspunkten und ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Möglichkeiten. "Grids bieten die Chance neue Geschäftsbereiche innerhalb von Telefongesellschaften einzurichten. Aber wir benötigen weitere Forschungsaktivitäten, die sich auf das Erreichen einer Kapitalrendite konzentrieren." Zu den Grid-Produkten mit einem Potential für eine kommerzielle Nutzung gehören laut Isidoro Padilla E-Health-Lösungen wie zum Beispiel dynamische Gesundheitspflegesysteme, E-Learning-Dienste zur Bereitstellung von umfassenden Rechner- und Wissensressourcen sowie die Notfallreaktion zur intelligenten Unterstützung bei der Entscheidungsfindung. "Alle Bereiche haben für den Nutzer einen hohen Stellenwert und wir können die hier erzielten Ergebnisse schnell auf andere kommerzielle Gebiete übertragen", erklärte er. Alle an der Sitzung Beteiligten waren sich einig, dass noch ein hohes Maß an Forschung und weiteren Maßnahmen notwendig ist, bevor irgendeine Vision mehr Gestalt annehmen kann. Außerdem erkannten die Teilnehmer, dass man sich bei der Realisierung bedeutenden Herausforderungen stellen müsse. Aufgrund der genutzten Ressourcen und dem kollektiven Wille bei der offensichtlich abgesicherten Realisierung dieser Vision wird es aber nur eine Frage der Zeit sein, bis wir die nächste Generation von Grids nutzen können. Oder um es mit den Worten von Wolfgang Boch zu sagen: "Grids sind nicht einfach nur irgendeine weitere Technologie - sie werden die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, verändern."