Opportunitätskosten für Mobilität und Resilienz im Paläolithikum
Bislang standen für die europäische Forschung zum Paläolithikum Kulturgeschichte und technologische Entwicklungen im Vordergrund. Nun allerdings untersuchte das EU-finanzierte Projekt PALMOBI in einer Studie, wie Jäger und Sammler Mobilitätsverhalten und technologische Resilienz an Veränderungen bei der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Rohstoffen anpassten. Erstmals dokumentierten die Forscher hierfür messbare geochemische Signaturen von silikatischen Rohstoffen aus Belgien und Rumänien. PALMOBI brachte Expertise aus den Bereichen Geochemie, Petrographie, Steintechnik, GIS-Techniken, Geodaten und Umweltmodellierung zusammen, um Mobilität und Landnutzung im frühen Jungpaläolithikum vor 36 000 bis 30 000 Jahren zu rekonstruieren. Das Projekt fand Belege für eine effektive Bereitstellung und Bewirtschaftung von lithischen Ressourcen, die mit erhöhter Mobilität im Gravettien einhergingen. Erstmalige Kombination modernster Methoden Die sorgfältige Probenahme bei Gesteinsmaterial ist Voraussetzung, um prähistorische Mobilität genauer erforschen zu können. Allerdings können Misinterpretationen dazu führen, dass menschliches Verhalten falsch rekonstruiert wird. In der Regel erfolgt die Identifizierung und Klassifizierung visuell und ist damit fehleranfällig, da Rohmaterialien wie Hornstein oder Feuerstein ähnlich aussehen und sich schlecht unterscheiden lassen. Dr. Luc Moreau, Koordinator von PALMOBI, erklärt den Anstoß für das Projekt so: „Alle Versuche, den Transport von Material über große Entfernungen hinweg nachzuvollziehen – ein Faktor, der sich maßgeblich auf Mobilitätsstrategien, Zeitplanung und gesellschaftliches Miteinander auswirkte – müssen durch mikroskopische/petrographische und geochemische Vergleiche wissenschaftlich fundiert werden.“ In Rumänien und Belgien, in denen menschliches Siedlungsverhalten und Umweltveränderungen im Jungpaläolithikum gut und zahlreich dokumentiert sind, führte PALMOBI Rohstoffanalysen durch. Die dort erfassten geologischen Proben lieferten Anhaltspunkte zur prähistorischen Landschaft, woraufhin Modelle veränderter Anpassungsstrategien erstellt werden konnten. Wie Dr. Moreau rekapituliert, „hatte sich bislang niemand an einem solchen Vergleich beider Regionen versucht, für den wir nun modernste Methoden mit Ansätzen und Theorien aus der evolutionären Anthropologie kombinierten.“ Die Forschergruppe führte mit dem Laserablationsverfahren LA-ICP-MS (induktiv gekoppeltes Plasma – Massenspektrometer) zerstörungsfreie geochemische Analysen von archäologischen und geologischen Proben durch, was anhand zahlreicher Spurenelemente schnelle und genaue Daten zur Variabilität und Herkunft der Gesteinsproben lieferte. Mit einem binokularen Mikroskop wurden zudem Oberflächen von Feuerstein petrographisch charakterisiert, was Aufschluss über das Umfeld der von den Forschern gesammelten Gesteinsproben gab. Weiterhin wurde mittels GIS ein multivariates Modell zum Verhalten in Abhängigkeit von der Rohstoffverfügbarkeit erstellt. Dabei wurde zwischen menschlichen Entscheidungen und weiteren einschränkenden Faktoren unterschieden. Wie Dr. Moreau anmerkt, „sollten auch andere Einflussfaktoren erwogen werden, bevor man sich allein auf gesellschaftliche Ursachen für Verhaltensänderungen festlegt. PALMOBI zufolge sind Boden- und Rohstoffvariablen entscheidende Faktoren bei der Modellierung von Kosten und Entscheidungen zu technologischen Investitionen und Mobilität, mit denen sich Menschen an die Veränderungen kurz vor dem letzten glazialen Maximum der letzten Eiszeit anpassten.“ Wissenschaftlich fundiertere Belege Die Ergebnisse von PALMOBI deuten auf einen klaren Zusammenhang zwischen Anpassung an Umweltveränderungen und Ausmaß der Gruppenmobilität bei Jäger- und Sammlergesellschaften im Jungpaläolithikum hin. Mit zunehmender Verschlechterung des Klimas und immer kälteren Temperaturen verstärkten sich auch die Migrationsbewegungen in entferntere Gegenden, da immer schlechter vorhersehbar war, ob genug Ressourcen zum Leben bleiben würden. PALMOBI enthüllte auch Präferenzen bei der Rohstoffbeschaffung. So zeigte sich, dass neben der Qualität und Verfügbarkeit des Materials auch Bodenbeschaffenheit und absehbare Kosten der Mobilität Aufschluss über die Verwendung und Nutzung von Rohstoffen geben können, wie sie in den archäologischen Aufzeichnungen dokumentiert sind. Dr. Moreau resümiert: „Die Jäger und Sammler im Gravettien akzeptierten höhere Kosten für die Beschaffung von Gestein, wenn das Gestein vor Ort nicht brauchbar war. Aber auch durch ihre sozialen Netzwerke konnten Risiken eines Ressourcenausfalls abgemildert werden, mehr als in allen früheren Perioden. Im Gegensatz zur bisherigen Lesart deuten die großen technologischen Ähnlichkeiten zwischen Aurignacien- und Gravettien-Gesellschaften in Rumänien auf veränderte Anpassung und Mobilität statt auf neue Einwanderer hin.“ Neben der Teilnahme an mehreren öffentlichen Informationsveranstaltungen zeigte das Projekt den Einfluss von Mobilität auf den gesellschaftlichen Wandel, was wiederum den Auftakt für eine internationale Konferenz lieferte, in der es um Prozesse ging, durch die sich eine Gesellschaft weg vom Egalitarismus bewegen kann.
Schlüsselbegriffe
PALMOBI, Paläolithikum, Jäger und Sammler, Mobilität, Gestein, geochemisch, Rohmaterial, Klimawandel, prähistorisch, Archäologie, Anthropologie, Anpassung, Resilienz, letzte Eiszeit