Öffentliche Anhörung lässt schwierige Zeiten für REACH-Vorschläge vermuten
Im Vorfeld der ersten Lesung der Vorschläge zur Reformierung der EU-Chemikaliengesetzgebung im Parlament haben sowohl Befürworter als auch Gegner ihre Argumente gegenüber den MdEPs vorgebracht. Mit den Vorschlägen möchte die Europäische Kommission den Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt verbessern, die Integrität des Binnenmarkts schützen sowie der chemischen Industrie ein besseres rechtliches Rahmenwerk bieten. Während es auf der einen Seite Bedenken gibt, dass die vorgeschlagenen Vorschriften die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie schwächen, wird auf der anderen Seite auf die möglichen Auswirkungen von REACH auf Forschung und Innovation hingewiesen. Gemäß REACH müssten Unternehmen, die jährlich mehr als eine Tonne einer chemischen Substanz herstellen oder importieren, diese in einer zentralen Datenbank registrieren. Die betroffenen Unternehmen müssten außerdem die durch den Einsatz der Chemikalie entstehenden Risiken erforschen und Maßnahmen ergreifen, um diese zu senken. Die Kommission betonte die mit REACH verbundenen Anreize, Forschung durchzuführen. 'Das derzeitige System bietet wenig Anreize, neue und sicherere Substanzen zu entwickeln. Und genau dieser Mangel an Innovationsfähigkeit, dieser Mangel an kreativen Visionen könnte mittel- oder langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie in Europa beeinträchtigen', erklärte Umweltkommissar Stavros Dimas bei der öffentlichen Anhörung zu REACH im Parlament am 19. Januar. Kleinere Unternehmen könnten es allerdings schwierig finden, die finanziellen Mittel für die Registrierung der Chemikalien und die Bewertung des Gefahrenpotentials aufzubringen. Gyula Körtvèlyessy vom Verband der ungarischen Chemieindustrie führte bei der Anhörung an, dass die Existenz von 40 bis 60 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in dieser Branche durch die vorgeschlagenen Vorschriften aufs Spiel gesetzt werde. Körtvèlyessy äußerte zudem Bedenken bezüglich der Auswirkungen von REACH auf die Forschungsausgaben. Forschung und Entwicklung (FuE) wird in der chemischen Industrie derzeit durch Unternehmensgewinne finanziert, die seiner Meinung nach durch REACH sinken werden. Die Kommission wurde aufgefordert, ihre Vorschläge zu modifizieren, doch sie selbst bestätigte bei der Anhörung, dass sie dies nicht tun werde, bis das Parlament seine Änderungsanträge dem Rat vorgelegt habe - ein Verfahren, das von manchen MdEPs als 'Zeitverschwendung' bezeichnet wird. Als Rechtfertigung für die Vorschlagsänderung wurden die Ergebnisse neuester Studien über die wahrscheinlichen Auswirkungen von REACH auf die Industrie genannt. Eine von Großbritannien vorgestellte Alternative ist das 'eine Substanz, eine Registrierung'- oder OSOR-System. So hätten die Unternehmen die Möglichkeit, ein Konsortium zu bilden und die Kosten der Registrierung zu teilen. OSOR würde besonders von den KMU sehr begrüßt und wird von Kommissar Dimas, einigen MdEPs sowie zahlreichen Industrievertretern unterstützt. Das französische MdEP Marie-Noëlle Lienemann führte jedoch an, dass dieses Verfahren eine Bedrohung für die Forschung darstelle und Innovation nicht stimulieren werde. Die größte Sorge der Europäischen Koalition zur Beendigung von Tierversuchen ist das Potential für die Zunahme von Tierversuchen, die aufgrund der neuen Gefahrenbewertungsanforderungen erfolgen wird. Der Vorsitzende der Anhörung Karl-Heinz Florenz sagte gegenüber einem Vertreter der Koalition: 'Die Zuhörerschaft im Parlament ist Ihnen in dieser Sache sehr wohlgesonnen.' Die Kommission hat in der Vergangenheit betont, dass Alternativen zu Tierversuchen gefunden werden müssen und dass diese Notwendigkeit ein Katalysator für die zukünftige Forschung sein werde. Trotz der Bedenken aus verschiedenen Lagern gibt es jedoch auch Zustimmung für die Vorschläge der Kommission. Vertreter von Verbrauchern und Einzelhandel begrüßten die neuen Informationen über Chemikalien, die durch REACH zur Verfügung stehen werden. Die Verbraucher seien zunehmend besorgt über die in den von ihnen gekauften Produkten enthaltenen Chemikalien und REACH werde diese Bedenken in gewissem Maße zerstreuen können, hörten die MdEPs. Professor Dominique Belpomme von der Organisation für therapeutische Krebsforschung ARTAC listete einige Krankheiten (Krebs, Allergien, angeborene Missbildungen und Unfruchtbarkeit) auf, die seiner Aussage nach durch chemische Verunreinigungen verursacht werden. Neuste Forschungsergebnisse zeigen, dass bis zu 25 Prozent dieser Krankheiten auf Chemikalien zurückzuführen sind, was einen alarmierenden Anstieg im Vergleich zu den 0,6 bis 2,25 Prozent aus früheren Studien darstellt. Die Mediziner waren jedoch nicht einstimmig gegen Chemikalien. Dr. Enric Julia Danes von der Ramon Lull University in Barcelona argumentierte, dass in der Medizin große Fortschritte dank chemischer Produkte erzielt worden seien. Das europäische Parlament wird im Frühherbst über die REACH-Vorschläge abstimmen. Obgleich die Kommission versucht hat, ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz von Gesundheit und Umwelt und der Kostenminimierung für die Industrie zu finden, werden die strittigen Vorschläge voraussichtlich bei zahlreichen weiteren Anlässen debattiert werden, bevor sie in Kraft treten.