Experten fordern mehr EU-Maßnahmen zu Infektionskrankheiten
Eine internationale Arbeitsgruppe von Experten hat einen Bericht für den European Academies Science Advisory Council (EASAC) erstellt, in dem die EU aufgefordert wird, der Kontrolle von Infektionskrankheiten einen höheren Stellenwert einzuräumen und mehr Mittel dafür bereitzustellen. Der Bericht zielt darauf ab, die wichtigsten Herausforderungen für politische Entscheidungsträger in Bezug auf Infektionskrankheiten vorzustellen und Prioritäten für die weitere Arbeit des EASAC festzusetzen. Volker ter Meulen, der Leiter der Arbeitsgruppe, die den Bericht erstellt hat, stellte dessen Ergebnisse den MdEP am 14. Juni bei einem Mittagsbriefing im Europäischen Parlament vor. Zuerst stellte Professor ter Meulen die derzeitige globale Situation vor, indem er die Statistik der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anführte, deren Schätzungen zufolge rund ein Drittel aller Todesfälle auf Infektionskrankheiten zurückzuführen ist. Zum Vergleich: Zwölf Prozent der Todesfälle sind auf Krebsleiden zurückzuführen. Die Situation in den Entwicklungsländern ist noch schlimmer. Dort sind Infektionskrankheiten für fast die Hälfte aller Todesfälle verantwortlich. In Europa sind die größten Bedrohungen Virus- und bakterielle Erkrankungen. Zu der ersten Gruppe gehören die Influenza, Koronaviren wie SARS und Retroviren wie HIV/AIDS, während die letzte Gruppe Tuberkulose und Meningitis abdeckt. Parasitäre Erkrankungen wie Malaria kommen häufiger in Entwicklungsländern als in Industrieländern vor. Professor ter Meulen nutzte das Beispiel der Influenza, um die Bedrohung durch Infektionskrankheiten hervorzuheben. "Dies ist eine große Gruppe von Viren, die sowohl Menschen als auch Tiere befallen können, wodurch das Risiko einer Doppelinfektion besteht, die zu Hybridviren führen könnte", sagte er. "Die unmittelbare Nähe von Menschen und Tieren in Asien beispielsweise stellt ein großes Risiko dar - wie wir am Beispiel der Vogelviren gesehen haben. Wenn es zu einem großen Ausbruch eines solchen Virus käme, würden die Pharmaunternehmen sechs bis acht Monate für die Entwicklung eines Impfstoffs brauchen." Bakterielle Pathogene können durch die Anwendung von Antibiotika blockiert werden, aber Professor ter Meulen warnte: "Bakterien sind ziemlich clever" und könnten eine Resistenz gegenüber derartigen Behandlungen entwickeln, was bedeutet, dass permanent neue Antibiotika entwickelt werden müssten. Es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass sowohl Viren als auch Bakterien absichtlich von Bioterroristen gegen Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden könnten. Angesichts dieser Gefahren sind Professor ter Meulen und seine Kollegen der Ansicht, dass es ein starkes Argument für verstärkte Maßnahmen auf EU-Ebene gibt, und fordern daher höhere Investitionen und eine stärkere Koordinierung für eine bessere Reaktionsfähigkeit auf Infektionskrankheiten. Er betonte jedoch: "Wir wollen fair sein - es werden bereits viele Maßnahmen auf EU-Ebene in diesem Bereich ergriffen, aber wir sind der Ansicht, dass eine stärkere Integration erforderlich ist." Ein Beispiel ist die Einrichtung eines Europäischen Zentrums für die Bekämpfung von Krankheiten, die der Prognose des Berichts zufolge "zu einem besseren Schwerpunkt auf der Überwachung der öffentlichen Gesundheit führen wird". Die Arbeitsgruppe ist jedoch der Meinung, dass das Zentrum nur unzureichende Mittel erhält, und argumentiert: "Anstatt einer zentralen Stelle sollte es ein Netz von Zentren geben, die die Aktivitäten jedes Landes standardisieren und eine miteinander verbundene und verbesserte Krankheitsüberwachung bereitstellen können." Um Europa den Aufbau auf seinen früheren Errungenschaften und die Entwicklung einer koordinierten Strategie zu erlauben, identifiziert der Bericht eine Reihe strategischer Ziele für die EU-Politik: - bessere Integration einzelstaatlicher Konzepte; - Hervorhebung der Schlüsselrolle von Wissenschaft und Technologie bei der Anleitung für die Reaktion auf Infektionskrankheiten; - Identifikation europäischer Stärken und Schwächen in der Forschung, insbesondere bei Überwachung und Gegenmaßnahmen; - Hervorhebung der allgemeinen Vorteile für öffentliche Gesundheitssysteme von Reaktionsmöglichkeiten auf übertragbare Krankheiten und Bioterrorismus. In Bezug auf die spezifischen Themen, die die Politiken versuchen müssen anzugehen, wies Professor ter Meulen unter anderem auf Verbesserungen bei der Krankheitsüberwachung und Infrastrukturen für die öffentliche Gesundheit, die Entwicklung einer strategischen Forschungsagenda - samt Fertigkeiten und Schulungserfordernissen, die Notwendigkeit der Bereitstellung ausgewogener Informationen für die Öffentlichkeit und die Verantwortung der EU zum Voranbringen von Forschung auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten in den Entwicklungsländern hin. Zu einem Thema insbesondere, der Notwendigkeit der Entwicklung und Lagerung von mehr Impfstoffen, wies Professor ter Meulen auf Probleme im kommerziellen Produktionsverfahren hin, die angegangen werden müssen, wie beispielsweise der Mangel an profitablen Erträgen des investierten Kapitals für Pharmaunternehmen bei der Entwicklung neuer Impfstoffe. "Zu einem Zeitpunkt, zu dem immer mehr Eltern ihren Wert in Frage stellen, müssen wir den gesellschaftlichen Wert von Impfstoffen klar machen und die Menschen über ihre Bedeutung aufklären", argumentierte er. Der Bericht greift außerdem dringende Bedenken in Bezug auf die neuen EU-Mitgliedstaaten heraus, wo Forschungsfinanzierung, die Einräumung einer Vorrangstellung und Maßnahmen zur Krankheitskontrolle derzeit als unzureichend erachtet werden. "Die EU sollte sich auch auf die Kontrolle von Infektionskrankheiten in Ländern konzentrieren, die gemeinsame Grenzen mit der EU haben, und dies kann für einige der neuen Mitgliedstaaten ein besonderes Anliegen sein", so der Bericht weiter. Mit Blick auf die Zukunft plant der EASAC die Erstellung eines detaillierteren Berichts zum Thema Impfstoffe und möglicherweise weitere Berichte zu anderen vorrangigen Themenbereichen, um ausführliche Empfehlungen für politische Entscheidungsträger in Europa zusammenzustellen. "Als Wissenschaftler müssen wir sicherstellen, dass die Politiker richtig über die bestehenden Probleme informiert werden, und wir müssen diese Themen offen in politischen Kreisen diskutieren", sagte Professor ter Meulen gegenüber den MdEP. "Mir ist bewusst, dass es seine Zeit braucht, die Politiker zum Treffen der richtigen Entscheidungen zu bewegen, aber es liegt in der Verantwortung der Wissenschaftler, sich weiterhin Gehör zu verschaffen", sagte er abschließend.