Biosimulation: Ein neues Instrument für die Entwicklung von Medikamenten
Die EU fördert das BioSim-Exzellenznetz mit dem Ziel, die Entwicklung von Simulationsmodellen für die Zusammensetzung und Auswahl sowie für Tests von Medikamenten zu strukturieren. Dank des Biosimulationsansatzes könnte das langwierige und teure Entwicklungsverfahren für ein Medikament um zwei bis drei Jahre verkürzt und der Einsatz von Versuchstieren und Testpersonen erheblich reduziert werden. Expertenberichte des europäischen Verbandes für Pharmaziewissenschaften (European Federation for Pharmaceutical Sciences - EUFEPS) und anderer europäischer Organisationen haben wiederholt betont, dass gezielte Anstrengungen notwendig sind, damit die Entwicklung neuer und sicherer Arzneimittel schneller geht. Die Pharmaziebranche verzeichnet rasant steigende Entwicklungskosten. Besorgniserregend ist dabei die Tatsache, dass die Anzahl der aus dieser Entwicklung resultierenden Medikamente sinkt. Der derzeitige Ansatz der Vorbereitung und Entwicklung von Medikamenten, der im Großen und Ganzen auf Versuch und Irrtum beruht, ist oft ineffizient, extrem langwierig und riskant für die Pharmaindustrie und viel zu teuer für die Gesellschaft. Entwicklungsprojekte für neue Medikamente werden oft abgebrochen, wenn sich herausstellt, dass zu viele Nebenwirkungen auftreten oder wenn die Wirksamkeit hinter den Erwartungen zurückbleibt, da lebende Systeme außerordentlich komplex sind. Solche abgebrochenen Projekte können 100 Millionen Euro und mehr kosten. Einer der vielen Gründe, warum diese Projekte nicht erfolgreich sind, ist die Tatsache, dass die Testphase, einschließlich der klinischen Tests, nicht früh genug eine ausreichende Wissensbasis liefert. Angesichts der enormen Fortschritte der Informationstechnologie, Systembiologie und der Theorie über komplexe Systeme im Laufe der letzten zehn Jahre halten viele Beobachter diese Situation für inakzeptabel. Es muss ein vollständig neuer Ansatz entwickelt werden, bei dem Informationen rationaler gehandhabt werden und in den das enorme Potenzial eines systematischeren Verfahrens einfließt. Biosimulation ist eine recht junge Disziplin, die viele der modernen Methoden der Chaosforschung nutzt, um biologische Systeme anhand von Computermodellen zu beschreiben und zu erforschen. Ein Simulationsmodell überträgt unser Wissen über biologische Systeme in mathematische Gleichungen. In der Frühphase des Medikamentenentwicklungsprozesses kann man das Simulationsmodell nutzen, um jede beliebige Hypothese zu testen und das Produkt so zu ändern, dass seine Funktion optimiert wird. Oder man kann die Wahrscheinlichkeit schätzen, mit der ein bestimmter Wirkstoff als Medikament einsetzbar ist, noch bevor das erste Molekül hergestellt wurde. In der Versuchsphase kann das Simulationsmodell als Vehikel eingesetzt werden, um ein effektives Versuchsprotokoll zu definieren und zu prüfen, ob die aus den Tests gewonnenen Informationen konsistent sind. Zahlreiche akademische Institutionen in Europa verfügen schon über beachtliches Fachwissen in biomedizinischer Modellierung, und mehrere Gruppen sind Vorreiter in der Forschung auf ihrem speziellen Gebiet. Die Arbeiten sind jedoch stark fragmentiert, sowohl aufgrund der enormen Diversität innerhalb des Bereichs als auch aufgrund des fehlenden gemeinsamen Ziels und einer fehlenden Organisationsstruktur. Die europäische Tradition der Zusammenarbeit zwischen den Hochschulinstitutionen und der Pharmaindustrie ist auch recht schwach ausgebildet. BioSim (Biosimulation - a new tool in drug development) ist ein Forschungsprojekt, das auf fünf Jahre angesetzt ist (2004-2009) und von der EU mit 10,7 Millionen Euro unter dem vorrangigen Themenbereich "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) gefördert wird. Hauptziel des BioSim-Projekts ist die Einrichtung eines europäischen Exzellenznetzes, um so bessere Kontakte zwischen den vielen Forschungsgruppen herzustellen, die in ganz Europa an diesem Thema arbeiten. An dem Projekt sind Forscher von 26 EU-Universitäten, neun kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und einem großen Pharmaunternehmen beteiligt. Darüber hinaus arbeiten vier Regulierungsbehörden (Arzneimittelzulassung) aus Spanien, den Niederlanden, Schweden und Dänemark mit. Die dänische Arzneimittelbehörde wurde beauftragt, die Aktivitäten der Regulierungsbehörden zu koordinieren. Dazu gehört auch die kontinuierliche Information aller anderen maßgeblichen EU-Behörden. Das BioSim-Netzwerk vereint eine breite Palette an biomedizinischem Fachwissen. Gleichzeitig sind im Netzwerk führende Experten aus den Bereichen Pharmakokinetik, Computersimulation und Theorie komplexer Systeme zu finden. Zweck des Netzwerks ist die Entwicklung von in-silico-Simulationsmodellen zellulärer, physiologischer und pharmakologischer Prozesse, um so die damit verbundenen biologischen Prozesse noch besser verstehen zu können. Darüber hinaus soll mit diesem Projekt die Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie erhalten werden. Die BioSim-Partner sind der Überzeugung, dass die Entwicklungszeit für ein Medikament um zwei bis drei Jahre reduziert werden kann, wenn die Industrie den Simulationsansatz übernimmt und sich an ihn gewöhnt. Daher hat die Industrie ein gesteigertes wirtschaftliches Interesse daran, die Nutzung von Simulationsmodellen zu verfolgen. Gleichzeitig wird die Pharmaindustrie ihren Bedarf an Versuchstieren und Testpersonen bedeutend reduzieren können. Neben den spezifischen klinischen Studien wird das Netzwerk auch eine breite Palette von Bildungsangeboten bereitstellen, einschließlich der Ausbildung von Doktoranden, Schulungen für Fachleute aus Industrie und Behörden sowie Informationen für die Öffentlichkeit.