Mit steigender Tamiflu-Resistenz wächst Furcht vor einer Vogelgrippe-Pandemie
Experten in Hongkong haben darauf hingewiesen, dass der menschliche H5N1-Stamm der Vogelgrippe, der kürzlich in Nord-Vietnam aufgetaucht ist, resistent gegen Tamiflu ist. Tamiflu ist der Handelsname von Oseltamivir, einem hoch wirksamen antiviralen Medikament, das allgemein als der beste Schutz der Bevölkerung vor der Vogelgrippe gilt. Laut Dr. William Chui, Associate Professor am Queen Mary Hospital in Hongkong, können sich die Gesundheitsbehörden nicht länger auf Tamiflu verlassen. Reuters gegenüber erklärte Dr. Chui: "Es sind resistente H5N1-Stränge aufgetaucht, und wir können uns nicht mehr komplett auf ein einziges Medikament verlassen." Dr. Chui betonte auch, dass in Japan die virale Resistenz gegen Tamiflu wachse, da das Medikament dort routinemäßig gegen normale menschliche Influenza verschrieben werde. Experten für öffentliche Gesundheit haben die Pharma-Unternehmen aufgefordert, effektivere Versionen von Relenza (Zanamivir) zu entwickeln, einem alternativen antiviralen Medikament, das ebenfalls wirksam den gefürchteten H5N1-Stamm bekämpft. Relenza wird inhaliert. "Die Hersteller sollten sich überlegen, ob sie eine injizierbare Form von Relenza entwickeln, da in Japan und Vietnam eine Tamiflu-Resistenz beobachtet wurde", erklärte Dr. Chui. "Darüber hinaus können mit Injektionen, wenn erforderlich, höhere Dosen verabreicht werden, und sie wirken viel schneller." Eine kleine unabhängige japanische Untersuchung, die im vergangenen August veröffentlicht wurde, hat bereits darauf hingewiesen, dass Influenzaviren resistent gegen Tamiflu werden und dass diese Resistenz weiter verbreitet sein könnte, als bisher angenommen. Laut Yoshihiro Kawaoka, Forschungsleiter und Professor für Virologie, Mikrobiologie und Immunologie an der Universität Tokio, hatten in dieser Studie 18 Prozent der pädiatrischen Patienten eine Tamiflu-Resistenz entwickelt. Ein Sprecher des Schweizer Pharmaherstellers Roche Holdings AG sagte, dass die hauseigene Forschung eine wesentlich geringere Resistenz in Kindern und Erwachsenen gefunden habe. Roche wies auch darauf hin, dass an der japanischen Untersuchung mehrere Kinder unter einem Jahr beteiligt waren (Tamiflu ist für die Anwendung in dieser Altersgruppe nicht zugelassen) und dass die japanischen Patienten unter Umständen keine ausreichende Dosis Tamiflu erhalten hätten. Zwei weitere Artikel, die kürzlich in der medizinischen Zeitschrift The Lancet erschienenen sind, berichten ebenfalls, dass die Resistenz gegen Anti-Grippe-Mittel weltweit ansteigt. Laut The Times ist in Ländern wie China die Resistenz auf über 70 Prozent angestiegen, was darauf schließen lässt, dass Medikamente wie Amantadin und Rimantadin nicht mehr wirksam eingesetzt werden können, weder therapeutisch noch prophylaktisch. Berichte, dass sich das Virus Europa nähert, hat die EU veranlasst, Depots mit antiviralen Medikamenten anzulegen. Manche Länder decken sich als Teil ihrer Vorbereitungsstrategien mit Tamiflu ein. Im VK dagegen ist man jetzt der Meinung, dass angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Grippevirus mutiert, das wirksamste Medikament erst ermittelt werden kann, wenn die Pandemie eingetroffen ist. Tamiflu gilt allerdings nach wie vor als eine effektive Option. Im BBC Radio erklärte Sir Liam Donaldson, Englands Chief Medical Officer, dass das VK seine Notfallpläne nicht geändert habe. Aufgrund medizinischer Empfehlungen hat die australische Regierung etwa vier Millionen Dosen Tamiflu anstatt des alternativen antiviralen Medikaments Relenza bevorratet. Die US-Regierung hat Tamiflu-Depots für eine Million Menschen angelegt. Finnland hat Pharmazieunternehmen in ganz Europa informiert, dass das Land zum Schutz seiner gesamten Bevölkerung 5,2 Millionen Dosen eines Impfstoffes gegen die tödliche Vogelgrippe sucht. Die finnische Regierung hat deshalb das Parlament aufgefordert, 21 Millionen Euro für den Ankauf des Impfstoffes bereitzustellen. Auch wenn die finnische Regierung Impfstoff-Depots anlegt, mit denen die gesamte finnische Bevölkerung geschützt werden kann, so planen die Behörden jedoch keine Impfkampagnen, solange offiziell keine Epidemie erklärt wurde. Möwen, die Anzeichen der Krankheit aufwiesen, hatten letzten Monat in Finnland den ersten Vogelgrippen-Alarm ausgelöst. Der Stamm wurde jedoch später als für den Menschen ungefährlich eingestuft. Befürchtungen, dass der jüngste Stamm des Vogelgrippe-Virus eine neue Pandemie auslösen könnte, sind durchaus berechtigt, obwohl noch keine Beweise einer Übertragung des H5N1-Virus von Mensch zu Mensch vorliegen. Bis jetzt haben sich nur Menschen angesteckt, die Kontakt zu infizierten Vögeln hatten. Allerdings muss das Virus permanent überwacht werden, um jede genetische Veränderung sofort zu erkennen, die es gefährlicher machen und seine Verbreitung beschleunigen könnte. In den vergangenen Wochen haben sich mehrere Länder zu koordinierten Vorbereitungsmaßnahmen zusammengeschlossen. Beim Weltgipfel in New York kündigten die USA eine neue internationale Partnerschaft zu Vogelgrippe und pandemischer Influenza an. Am 7. und 8. November findet bei der Weltgesundheitsorganisation ein Treffen aller Partner statt, um die notwendige Finanzausstattung zu koordinieren.