Sozialwissenschaftler aufgefordert, die Initiative zu ergreifen
Der EU-Kommissar für Wissenschaft und Forschung Janez Potocnik forderte die Teilnehmer einer Konferenz von Forschern aus den Sozial- und Geisteswissenschaften auf, mutiger zu sein, was ihre Anstrengungen bezüglich ihrer Integration in die Forschungsrahmenprogramme der EU betrifft. Im Rahmen seiner Rede anlässlich der Eröffnung der zweitägigen Veranstaltung am 12. Dezember in Brüssel sagte Potocnik, dass die gesamte Forschung in den Rahmenprogrammen eine sozial- und geisteswissenschaftliche Komponente haben sollte. Er räumte jedoch ein, dass es keine leichte Aufgabe sei, dies in die Praxis umzusetzen. "[�] Dies wird nicht von oben nach unten erfolgen", sagte er gegenüber den Delegierten. "Ich glaube eher, dass Sie als Sozialwissenschaftler diese Verantwortung übernehmen müssen [...]. Wenn Sie dies nicht tun, werden Sie sich weiterhin auf der jetzigen Ebene befinden und noch nicht einmal akzeptiert, um die heutigen wichtigen Themen zu diskutieren." Die Veranstaltung "Social Sciences and the Humanities in Europe" ("Die Sozial- und Geisteswissenschaften in Europa") war die erste große Konferenz, die von der Kommission zu den Sozial- und Geisteswissenschaften selbst anstatt zu den Themen, zu denen sie normalerweise einen Beitrag leisten, organisiert wurde. Dies spiegelt dem Kommissar zufolge die Weiterentwicklung der Sozialwissenschaften wider sowie die Tatsache, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des sozialen Wandels und das Informieren der Politik sind. Neben der Bereitstellung von Input zu den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Dimensionen anderer Bereiche der EU-Forschung werden die Forscher aus den Sozial- und Geisteswissenschaften auch ihr eigenes spezielles Thema unter den Vorschlägen der Kommission für das Siebte Rahmenprogramm haben. Dies wird völlig neue Themen für die EU-Forschung wie Europa in der Welt, Lebensgewohnheiten und Familien sowie europäische Integration umfassen. "Das Ziel des Themas ist Interdisziplinarität", erklärte Potocnik. "Natürlich ist Interdisziplinarität nicht immer die Lösung. Aber ich bin überzeugt, dass es nicht nur eine intellektuelle Verpflichtung für alle Sozialwissenschaftler ist zu erfahren, was andere Disziplinen zu dem Thema zu sagen haben, sondern dies bringt auch neue Ideen, neue Konzepte und neue Metaphern hervor, die zur Entwicklung der Sozialwissenschaften beitragen." Der Kommissar hob den Beitrag hervor, den die Sozial- und Geisteswissenschaften zur politischen Entscheidungsfindung leisten müssen, und forderte die Forscher auf, beim Angehen öffentlicher Politiken im Rahmen aktueller Themen wagemutiger zu sein. "Es gibt viele Veröffentlichungen, aber zu viel ist 'normale Wissenschaft', und es gibt nicht genügend Beiträge, die mutig genug sind, um bahnbrechende Auswirkungen zu haben und neue Ideen auszuprobieren", sagte er. Dies führte auch Helga Nowotny, Vorsitzende des Europäischen Forschungsbeirats (EURAB) und Professorin für Sozialwissenschaftliche Studien an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, an. "Meine Botschaft an Sie lautet: Seien Sie proaktiver, mobilisieren und organisieren Sie, und seien Sie mutig", sagte sie. Als Mitglied des wissenschaftlichen Rates fügte Professor Nowotny hinzu, dass der geplante Europäische Forschungsrat den Sozialwissenschaftlern viele neue Möglichkeiten bieten werde. "Aber es liegt bei Ihnen zu definieren, was 'Grenzforschung' in den Sozial- und Geisteswissenschaften darstellt." Forscher aus den Sozial- und Geisteswissenschaften sollten sich nicht entmutigen lassen, wenn Wissenschaftler anderer Fachrichtungen immer nur an ihrer Arbeit zu den sozialen Auswirkungen neuer Technologien beispielsweise interessiert zu sein scheinen, betonte Professor Nowotny. "Sie haben viel beizusteuern, da Sie uns allen helfen, uns selbst klarer zu sehen. Ideen und Menschen sind immer noch wichtig [...] entwerfen Sie daher Ihre eigene Forschungsagenda und verkaufen Sie sie." Christopher Whelan, derzeitiger Vorsitzender des Ständigen Ausschusses für die Sozialwissenschaften der Europäischen Wissenschaftsstiftung (EWS), sagte, die EU biete ein "außergewöhnliches natürliches Labor" für die Sozialwissenschaften, ergänzte jedoch: "Wir brauchen gewisse Ressourcen und Bedingungen wie beispielsweise vergleichbare Daten sowie nachhaltige Programme und Finanzierung." Professor Whelan wies auf die Qualität der von der europäischen Sozialstudie (European Social Survey - ESS) zusammengestellten Datensätze hin, die kürzlich den Descartes-Preis der EU gewonnen haben, aber bedauerte, dass ein Großteil der europäischen Daten diese Qualität nicht bieten könne. "Wir wollen, dass die ESS-Daten künftig die Norm und nicht die Ausnahme sind, denn ohne diese Daten werden wir versuchen, wesentliche Fragen zu beantworten, wobei uns eine Hand auf den Rücken gebunden ist", sagte er. Den von Kommissar Potocnik angesprochenen Punkt vertrat auch Professor Whelan, der betonte, dass die Sozialwissenschaftler zur Rechtfertigung der erforderlichen öffentlichen Investitionen in vergleichende Daten vor Investitionen in andere wissenschaftliche Infrastrukturen deren Wert durch das Ansprechen dringenden Maßnahmenbedarfs nachweisen müssen. "Wir waren ängstlich in den Sozialwissenschaften und möglicherweise ist noch ein Prozess der Konsolidierung und Entwicklung erforderlich, bevor wir mit den Großen mithalten können", sagte er abschließend.