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Inhalt archiviert am 2023-03-02

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Ist antiretrovirale Therapie das richtige Mittel für HIV-Patienten in Entwicklungsländern?

Zwei neue Studien von Forschern des Imperial College, London, und der Universität Bern in der Schweiz hinterfragen die Wirksamkeit von antiretroviraler Therapie (ART) als Mittel gegen die Ausbreitung von HIV in ärmeren Ländern. In den westlichen Industrieländern hat ART wese...

Zwei neue Studien von Forschern des Imperial College, London, und der Universität Bern in der Schweiz hinterfragen die Wirksamkeit von antiretroviraler Therapie (ART) als Mittel gegen die Ausbreitung von HIV in ärmeren Ländern. In den westlichen Industrieländern hat ART wesentlich dazu beigetragen, das Leben von HIV-infizierten Personen zu verlängern. Die Übertragungsraten sind gesunken, und die Behandlung hatte bei Personen, die eventuell einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren, sogar eine vorbeugende Wirkung. Die hoch aktive antiretrovirale Behandlung (HAART) hat auch Menschen, die vorher kaum Überlebenschancen hatten, die Hoffnung auf ein relativ langes und fast normales Leben zurückgegeben. Die Schweizer Studie, deren Ergebnisse jetzt in The Lancet veröffentlicht wurden, untersuchte HAART-Programme in 18 Entwicklungsländern und verglich die Ergebnisse mit zwölf Studien in Europa und Nordamerika. Laut Forschungsbericht ist "antiretrovirale Behandlung machbar und wirksam in einem ärmeren Umfeld, aber im Vergleich zu Industrieländern ist die Mortalitätsrate in den ersten Monaten hoch. Die Eignung von ART und der Bedarf an einer Tuberkulose-Behandlung sollte früher ermittelt werden, und HAART sollte begonnen werden, bevor sich eine ernsthafte Komorbidität entwickelt", empfiehlt Dr. Matthias Egger, Autor der Studie. Eine weitere neue Untersuchung jedoch, die in The Public Library of Science veröffentlicht wurde, weist darauf hin, dass ART zwar unbestreitbar das Leben der Patienten verlängert, die Behandlung unter Umständen aber weitere Infektionen begünstigt anstatt sie zu verhindern. Das Ergebnis ist sehr komplex: Das von den Forschern entwickelte Modell zeigt, dass bei Abwesenheit einer angemessenen Sexualerziehung, die ART-Patienten aufgrund ihrer erhöhten Lebensqualität wieder in ihr altes Sexualverhalten zurückfallen und Partner infizieren. Das Team des Imperial College fertigte Modelle der Ausbreitung von HIV nach der Einführung der ART an. Die Modelle basieren auf den Entwicklungen in Ländern des südlichen Afrika. In Afrika leben nur zehn Prozent der Weltbevölkerung, aber mehr als 60 Prozent der HIV-Infizierten. Manche Länder, wie z. B. Uganda, verzeichnen einen Rückgang der Infektionsraten, in anderen Ländern dagegen, z. B. Südafrika, Botswana, Lesotho, Namibia und Swasiland, tragen nach wie vor 30 Prozent und mehr der schwangeren Frauen das HIV-Virus in sich. Die Wissenschaftler beobachteten die Folgen einer breiten ART in diesen Bevölkerungsgruppen und stellten fest, dass die Infektionsraten unter Umständen steigen. Wenn ART die Infektionsraten senken kann, dann erscheint es logisch, dass die Anzahl der infizierten Personen sinkt, wenn die Medikamente an viele Patienten ausgegeben werden. Aber "HIV-Epidemien im südlichen Afrika lassen sich nicht durch Behandlung kontrollieren, unabhängig davon, wie weit ART verbreitet wird. ART muss daher in die Präventionsstrategien integriert werden", heißt es in dem Bericht. Die Behandlung muss Hand in Hand gehen mit Präventionsmaßnahmen, insbesondere der Verwendung von Kondomen. In Südafrika war ART ein hoch kontrovers diskutiertes Thema: Die Treatment Action Campaign (TAC) hat sich bei der Regierung massiv dafür eingesetzt, und die Regierung hat die Behandlung schließlich widerwillig genehmigt. Jetzt erhalten in dem Land mit sechs Millionen HIV-positiven Personen mehr und mehr Menschen eine antiretrovirale Behandlung und genießen dadurch eine höhere Lebensqualität. Rebecca Baggaley vom Imperial College, eine der Autorinnen der Studie, sagte in einem Interview mit CORDIS-Nachrichten: "Die Frage, ob ART eine gute Sache ist, muss man mit 'ja' beantworten, aber wie sehr hilft sie den Menschen wirklich? Wenn man den Zugang zu ART verbessert, ohne jedoch die notwendige Infrastruktur zu schaffen, dann wird das eine ethische Entscheidung. Das heißt: Soll man den Zugang erleichtern und die Medikamente allen zur Verfügung stellen, oder soll man den Zugang einschränken, damit man bei den ART-Empfängern eine höhere Erfolgsquote hat?" Dr. Baggaley wies auch darauf hin, dass ART nicht gleich ART ist. HAART ist quasi der Goldstandard: Sie ermittelt die Anzahl der CD4-Zellen, testet auf Tuberkulose und bietet mehrere Medikamente. In ärmeren Ländern dagegen sind die Medikamenten-Regimes standardisiert, und die Behandlung beginnt erst, wenn schon AIDS-Symptome vorhanden sind, das heißt, wenn die Anzahl der CD4-Zellen gering ist, was wiederum die Wirksamkeit der ART einschränkt, sowohl in Bezug auf die Verlängerung des Lebens als auch auf die Reduzierung der Infektionsraten. Wenn der Großteil der Mittel in medikamentenbasierte Behandlungen fließt, bleibt kein Geld mehr für andere Ansätze, z. B. für Sensibilisierungsmaßnahmen mit dem Ziel, das Sexualverhalten zu verändern. "Wir müssen Verhaltenserhebungen durchführen und schauen, was passiert", schlägt Dr. Baggaley vor. "Der Erfolg hängt von den Auswirkungen auf Präventionsmaßnahmen ab. Wir müssen beobachten, wie sich Verhaltensweisen ändern. Die Ressourcen, die wir in Goldstandard-Versuchen erwarten, einschließlich Monitoring, sind eventuell nicht vorhanden." Wenn man bevorzugt Medikamententherapien anwendet, wie werden dann die Fälle priorisiert? "Bei begrenzten Ressourcen gibt es keine Garantien: Die erste und die zweite Behandlungsrunde erfolgen unter Umständen mit der normalen Finanzierung. Aber wenn diese Fälle dann in die dritte und vierte Behandlungsrunde gehen, heißt das, dass keine neuen Fälle für die erste Runde aufgenommen werden?", fragt Dr. Baggaley. Mittelfristig ermöglichen mehr und mehr Daten auch immer bessere Modelle. "Wir müssen uns bestimmte Maßnahmen betrachten, die Verhaltensveränderungen zum Ziel haben, und je mehr wir darüber wissen, desto besser werden die Modelle", erklärt Dr. Baggaley. Es wäre ethisch nicht verantwortbar, eine einmal begonnene antiretrovirale Therapie abzubrechen, auch wenn die Auswirkungen zwiespältig, ja vielleicht sogar schädlich sind. Paradoxerweise ist ART wirksam, aber bei mangelnden Ressourcen eventuell kontraproduktiv. "Der Einsatz von ART im südlichen Afrika beschleunigt sich, das bedeutet, es müssen schwierige Entscheidungen darüber gefällt werden, wie knappe Ressourcen eingesetzt werden", heißt es in der Studie. Die EU finanziert HIV- und AIDS-Forschung im Rahmen der Partnerschaft für klinische Studien zwischen Europa und den Entwicklungsländern (EDCTP). Das Programm integriert Forschung und klinische Intervention in allen teilnehmenden Ländern im Rahmen eines gemeinsamen Projekts zur Implementierung umfangreicher, koordinierter klinischer In-situ-Studien für die Entwicklung neuer Arzneimittel, Impfstoffe, Mikrobizide und Diagnoseinstrumente zur Behandlung von HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose. Es handelt sich um eine langfristige Initiative mit einer Laufzeit von voraussichtlich 10 bis 20 Jahren.

Länder

Schweiz, Vereinigtes Königreich

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