Europäische Biotechnologieindustrie leidet an "chronischer Unterfinanzierung"
Die europäische Biotechnologieindustrie leide an Unterfinanzierung, sodass sie weit hinter den USA zurückliege, heißt es in einem Bericht, der von EuropaBio, dem europäischen Verband der Bioindustrie, in Auftrag gegeben wurde. Der Bericht vergleicht die EU-Mitgliedstaaten, die Schweiz und Norwegen mit den USA und untersucht die Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse zeigen, dass es eine tiefe Kluft zwischen den Biotechnologieindustrien der EU und der USA gibt. In der EU und den USA ist die Anzahl der Biotechnologieunternehmen mit 2.163 bzw. 1.991 ungefähr gleich hoch. Allerdings sind die EU-Unternehmen kleiner, bestehen erst seit kürzerer Zeit, erhalten nur einen Bruchteil der Fördermittel, die US-Unternehmen zur Verfügung stehen, und expandieren langsamer. Wenn man die Daten genauer betrachtet, klafft eine noch größere Lücke: US-Unternehmen beschäftigen doppelt so viele Angestellte, investieren das Dreifache in Forschung und Entwicklung (F&E) und verfügen über das doppelte Risikokapital wie EU-Unternehmen. Verglichen mit Biotechnologieunternehmen in der EU, nehmen US-Unternehmen den zehnfachen Kredit auf. "Risikokapital ist ein Luxus", so John Hodgson von Critical I, der Hauptautor der Studie. "Jährlich erhalten weniger als zehn Prozent der europäischen Unternehmen Risikokapital. Dieser Luxus ist jedoch äußerst notwendig. Nur gut finanzierte Unternehmen können sich in wissensbasierten Industrien wie der Biotechnologie im weltweiten Wettbewerb behaupten." Es gibt jedoch nicht nur schlechte Nachrichten. In Europa wird jährlich eine große Anzahl an Biotechnologieunternehmen neu gegründet, die ein enormes Potenzial darstellen, wenn sie gefördert werden und expandieren. 2004 nahmen über 100 neue Biotechnologieunternehmen ihre Forschung und den Handel mit entwickelten Produkten auf. Zurzeit sind sie alle von Unterfinanzierung betroffen und dies hat negative Folgen für die gesamte Industrie. Durch eine Erhöhung der finanziellen Mittel könnte das Übel jedoch an der Wurzel gepackt werden. "Europa kann ein besseres Umfeld für europäische Unternehmen schaffen oder Hochtechnologieunternehmen großziehen, die anschließend von besser finanzierten US-Firmen übernommen werden. Die Technologieentwicklung wird dort stattfinden, wo die finanziellen Mittel sind, um sie voranzutreiben. Europa muss dafür sorgen, dass hier finanzielle Mittel bereitgestellt werden", so Hodgson. Bei näherer Betrachtung der Daten wird deutlich, dass einige europäische Länder die Biotechnologie scheinbar besser fördern als andere. In Portugal, Finnland, Ungarn, der Schweiz, Irland und dem VK befindet sich eine größere Anzahl an länger bestehenden Unternehmen, was darauf hindeutet, dass dort ein für Unternehmenserfolge förderliches Wirtschaftsklima herrscht. Diese Unternehmen haben in der europäischen Biotechnologiebranche die höchsten Einnahmen und investieren am stärksten in F&E, stehen jedoch finanziell ebenfalls unter Druck. Die Unterfinanzierung schränkt das Wachstum der europäischen Unternehmen ein. Zwei Drittel der europäischen Biotechnologieunternehmen beschäftigen weniger als 20 Mitarbeiter, während diese Quote in den USA doppelt so hoch ist. Neu gegründete europäische Unternehmen haben zudem ein höheres Bankrottrisiko als US-Unternehmen, was wiederum durch geringere Einnahmen und Investitionen in Mitarbeiter und F&D begründet ist. Am besorgniserregendsten ist jedoch, dass erfolgreiche europäische Unternehmen eine geeignete Lösung für den Mangel an EU-Fördermitteln haben: Sie verlagern ihre Unternehmungen in die USA. Dadurch erhalten sie einen sofortigen Zugang zu den US-Finanzmärkten, die bedeutend größer sind als die der EU. Um diesen Problemen entgegenzuwirken, unterbreitet Hodgson sechs Vorschläge: - Umsetzung EU-weiter Maßnahmen; - Fördermittelvergabe nicht nur für Start-up-Unternehmen; - Lernen aus und Vermeidung von früheren Fehlern; - Zusammenführung von Unternehmen und ihres geistigen Eigentums in einem möglichst frühen Stadium; - Verdopplung des Risikokapitals für Unternehmen in allen Entwicklungsstufen; - Erweiterung des Aufgabenbereichs der europäischen Börsen über die Einführung hinaus. Dr. Hans Kast, Vorsitzender von EuropaBio und Geschäftsführer von BASF Plant Science, begrüßte den Bericht: "Problemerkennung ist der erste Schritt zu einer Lösung. Der zweite Schritt besteht darin, starke finanzielle und steuerliche Anreize für Investoren und Risikokapitalanleger zu schaffen, sodass diese in Biotechnologie investieren." Er nannte Programme wie das französische "Jeune Entreprise Innovante" ("innovatives Jungunternehmen"), die Anreize für neue Unternehmen mit innovativen Produkten schaffen, und forderte, solche Programme auf EU-Ebene auszuweiten. Durch seine Forderungen unterstützt der Bericht die in der europäischen Wirtschaft lauter werdenden Stimmen, die eine Lockerung der Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums und des Urheberrechts sowie die Öffnung der Märkte und Börsen für EU-weiten Handel fordern.