Neue Hoffnung auf Heilung von Muskelschwund
Forscher des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) haben herausgefunden, dass die Blockierung eines bestimmten Moleküls Muskeln vor Muskelschwund schützen und die Regeneration der Muskeln verbessern kann. Damit steigt die Hoffnung auf neue Behandlungsmöglichkeiten von Muskelschwund. Die Ergebnisse der Forscher, deren Arbeit aus Mitteln des Sechsten Rahmenprogramms der EU unter dem MYORES-Exzellenznetz kofinanziert wurde, wurden in der Fachzeitschrift "Journal of Clinical Investigation" veröffentlicht. Muskelschwund tritt auf, wenn die Prozesse, die das Gleichgewicht zwischen der Proteinproduktion und dem Proteinabbau erhalten, gestört werden. Das kann aufgrund genetischer Defekte, Herzerkrankungen, Wirbelsäulenverletzungen, Krebs, Immobilität oder gar altersbedingt geschehen. Muskelschwäche als Folge des Verlustes von Muskelmasse und -stärke mindert die Lebensqualität der betroffenen Patienten beträchtlich, aber die Entwicklung wirksamer Behandlungsmethoden hat sich bis jetzt als schwierig erwiesen. Im Rahmen dieses jüngsten Forschungsprojekts untersuchten die Wissenschaftler die Rolle des Signalmoleküls NF-kB beim Muskelschwund. Es ist schon seit einiger Zeit nachgewiesen, dass NF-kB maßgeblich am Entzündungsprozess beteiligt ist, und kürzlich wurde festgestellt, dass es auch bei anderen degenerativen Erkrankungen, zum Beispiel multipler Sklerose, eine Rolle spielt. Die Forscher entfernten das Molekül NF-kB gentechnisch aus den Beinmuskeln von Mäusen, indem sie ein Protein namens IKK2 hemmten, das das NF-kB aktiviert. Dann simulierten sie eine Wirbelsäulenverletzung in den Mäusen, indem sie die Verbindung zwischen dem Rückenmark und dem Unterschenkelmuskel unterbrachen - was normalerweise zu Muskelschwund führen würde. "Was wir beobachten konnten, war wirklich erstaunlich", so Professor Nadia Rosenthal, Leiterin der Abteilung Mäusebiologie am EMBL. "Nach der Verletzung zeigten die Mäuse fast keinen Muskelschwund, ihre Muskelfasern wahrten annähernd unverändert dieselbe Größe, Stärke und Verteilung wie in einem gesunden Muskel. Aber das ist noch nicht alles: Die Blockierung des IKK2 unterstützte auch die Muskelheilung. Ohne das NF-kB-Signal regenerierten sich die Muskeln viel besser und schneller." Das NF-kB, so die Forscher, stellt als Reaktion auf eine Verletzung oder Entzündung die Produktion von Proteinen ein und fördert deren Abbau, was zu einem Verlust an Muskelmasse führt. Die Blockierung des NF-kB in den Beinmuskeln der Mäuse schützte die Muskeln daher vor Schwund und verbesserte den Heilungsprozess. Ein weiteres Molekül, das ins Blickfeld der Forscher geraten ist, ist der Wachstumsfaktor IGF-1. In früheren Untersuchungen hatten Professor Rosenthal und ihr Team bereits nachgewiesen, dass IGF-1 die Wiederherstellung von Skelett- und Herzmuskeln sehr gut fördert. Daraufhin fügten sie dem Muskelgewebe, dem bereits das NF-kB fehlte, eine genetische Codierung für IGF-1 bei und stellten fest, dass dies den Schutz vor Muskelschwund noch weiter verbesserte. "Die Tatsache, dass eine NF-kB-Blockierung hilft, die Muskelmasse zu erhalten, ist ein guter Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten von Muskelerkrankungen", erläuterte Dr. Foteini Mourkioti von der Abteilung für Mäusebiologie des EMBL. "Die Gabe von IGF-1 hat einen ähnlichen Effekt wie die Blockierung von NF-kB, aber das IGF-1 muss zumindest teilweise unabhängig vom NF-kB wirken, da wir eine wesentliche Verbesserung beobachten konnten, sobald beide Behandlungen zusammen durchgeführt wurden." In seinem Begleitartikel unterstreicht Dr. Michael Karin von der University of California die Implikationen dieser neuen Forschung und weist darauf hin, dass bis jetzt Muskeldystrophien und Muskelschwund im Allgemeinen nicht als Entzündungskrankheiten betrachtet wurden. "Diese Daten ... deuten stark darauf hin, das Muskeldystrophien und -atrophien als Entzündungskrankheiten betrachtet werden sollten, und stärken die Aussichten auf neue Therapien, die auf IKK2 oder andere Schritte auf dem NF-kB-Aktivierungspfad abzielen", so Dr. Karin. Seit einiger Zeit gibt es mehrere IKK2-Hemmer und andere Moleküle, die die NF-kB-Aktivierung blockieren, und Dr. Karin fordert weitere Forschung im Bereich Verhinderung von Muskeldegeneration durch NF-kB-Blockierung, zunächst an Mäusen, dann am Menschen. "Angesichts der Häufigkeit von degenerativen Muskelerkrankungen und ihrer Beeinträchtigung der Lebensqualität, aber auch angesichts der bedeutenden wirtschaftlichen Folgen dieser Erkrankungen sind solche Versuche nicht nur gerechtfertigt sondern dringend notwendig", plädiert Dr. Karin abschließend.