Experten warnen vor verborgener Hepatitis-C-Ausbreitung
Das Eurasian Harm Reduction Network (EHRN, vormals Central and Eastern European Harm Reduction Network bzw. CEEHRN) hat vor einer verborgenen Hepatitis-C-Epidemie gewarnt. Nur etwa 10 bis 40 Prozent der europäischen Träger des Hepatitis-C-Virus (HCV) sind sich ihrer Infektion bewusst, so ein EHRN-Bericht, der am 1. Oktober zum Welt-Hepatitis-Tag (WHAD) veröffentlicht wurde. Der Bericht fasst Daten aus 17 europäischen Ländern zusammen. Die Zahlen belegen, dass der Wissensstand über die Infektion, die schwere Leberschäden verursachen und tödlich sein kann, unabhängig vom Land niedrig ist. Das sei laut EHRN zum Teil auf mangelndes Engagement auf nationaler Ebene zurückzuführen, aber auch auf mangelnde Kenntnisse über HCV seitens der Behörden und der breiten Öffentlichkeit. Darüber hinaus fehle es an zugänglichen Tests, an angemessenen Meldeverfahren und an Überwachung. Das Netzwerk fordert die Politik und die Gesundheitsbehörden auf, europaweit die Früherkennung des HCV sicherzustellen sowie wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen und zur Behandlung der Infizierten zu ergreifen. Laut dem Robert-Koch-Institut wurden in Deutschland fast 50 000 HCV-Fälle gemeldet. Schätzungen zufolge ist die Zahl der Infizierten jedoch zehn Mal so hoch, das bedeutet, dass bis zu 450 000 Menschen nicht wissen, dass sie das Virus in sich tragen. Die polnischen Gesundheitsbehörden haben 20 000 Fälle registriert, gehen aber davon aus, dass 730 000 Menschen nicht diagnostiziert wurden. In manchen Regionen Polens könnte die HCV-Infektionsrate bei 15 Prozent liegen. Schätzungen zufolge sind in Frankreich etwa 365 000 Menschen infiziert. Im Jahr 2005 wurden 56 Prozent der Infektionen erkannt. Der Rest wurde bisher nicht diagnostiziert. Es ist zwar korrekt, dass zwischen 20 und 90 Prozent der neuen HCV-Fälle unter derzeitigen oder früheren injizierenden Drogenkonsumenten registriert werden, aber auch die allgemeine Bevölkerung ist betroffen. Das Vorkommen des Virus ist geografisch stark unterschiedlich und reicht von 0,5 Prozent in Nordeuropa bis zu 2 Prozent in den Mittelmeerländern. Quellen einer HCV-Infektion sind unter anderem: - Tätowierungen oder Piercings - gemeinsame Nutzung von Zahnbürsten oder Rasierern - Bluttransfusionen vor Einführung des Screenings (in den meisten Ländern vor 1992) - gemeinsame Nutzung von Drogenbesteck oder Kokainhalmen - medizinische oder zahnmedizinische Eingriffe in Ländern, in denen die Instrumente nicht angemessen sterilisiert werden - Nadelverletzungen (insbesondere unter Rettungskräften und Krankenpflegepersonal) Die Symptome sind meist unspezifisch wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen. Personen mit chronischer Hepatitis C zeigen unter Umständen überhaupt keine Symptome. Obgleich es gegen den Typ C der Infektion keinen Impfstoff gibt, so gibt es doch wirksame Behandlungsmöglichkeiten und manche Patienten können sogar vollständig geheilt werden. HCV ist etwa zehn Mal infektiöser als das HI-Virus. Daher reicht eine geringe Exposition, um eine hohe Infektionsrate auszulösen. Weltweit sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 53 700 Menschen an den direkten Folgen einer Hepatitis-C-Erkankung. Der aktuelle EHRN-Bericht weist aber darauf hin, dass einschließlich der Todesfälle durch HCV-verursachten Leberkrebs und Leberzirrhose vielleicht mehr als 500 000 Menschen jährlich an der Krankheit sterben. "Aufgrund der Tatsache, dass das Bewusstsein und die Tests in Europas mangelhaft sind, sind Morbidität und Mortalität von HCV-Infektionen im Steigen begriffen und werden auch in den kommenden Jahrzehnten weiter zunehmen", resümiert Jeffrey Lazarus von der WHO. Das EHRN schätzt, dass "Verzögerungen bei der Vorbeugung vor neuen HCV-Infektionen allein in den 15 westeuropäischen Ländern der EU zu Behandlungsmehrkosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro jährlich führen können". Politik, Gesundheitsbehörden und Anbieter von Gesundheitsleistungen müssen sich stärker engagieren, um die Kenntnisse über HCV zu erhöhen und die Früherkennung in der allgemeinen Bevölkerung aber auch in den Hochrisikogruppen wie injizierenden Drogenkonsumenten zu erleichtern und zu verbessern, fordert das EHRN. Die Organisation dringt darüber hinaus auf eine Verbesserung der diagnostischen Leistungen. "Kostenlose Tests sind unerlässlich, wenn weitere Infektionen vermieden werden sollen", so die Experten. Auch die unterschiedlichen Meldesysteme und -verfahren in den europäischen Ländern erschweren den Datenvergleich - sofern die nationalen Regierungen überhaupt Daten zur Verfügung stellen. Daher schlägt das EHRN die Verabschiedung einer "Hepatitis-C-Falldefinition" auf europäischer Ebene vor. "Wir fordern die EU und die nationalen Regierungen dringend auf, Hepatitis C als eine wichtige Bedrohung der öffentlichen Gesundheit anzuerkennen", so Nadine Piorkowsky, Präsidentin des europäischen Leber-Patienten-Organisation (ELPA).