Forscher des Marie-Curie-Programms untersucht Rolle des angeborenen Immunsystems bei Multipler Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine neurologische Erkrankung und hat viele Ausprägungen, die noch immer nicht vollständig erforscht sind. Man geht von einer Autoimmunerkrankung aus, bei der sich die Immunabwehr gegen Bestandteile des Gehirns und des Rückenmarks richtet. Neueste Forschungsbemühungen beschäftigen sich damit, das körpereigene Immunsystem für die MS-Therapie nutzbar zu machen. Im Rahmen des EU-finanzierten Marie-Curie-Programms untersucht Dr. Bruno Gran von der Universität Nottingham, Vereinigtes Königreich, die Funktion des sogenannten angeborenen Immunsystems. Dieses ist, im Gegensatz zum hochspezifischen adaptiven (erworbenen) Immunsystem, weniger spezifisch und dient dazu, "unmittelbar auf Krankheitserreger wie Bakterien und Viren zu reagieren und Muster zu erkennen, die typisch für solche Erreger sind. Es löst eine schnelle und sehr wirksame Immunreaktion aus, um die Krankheitserreger unschädlich zu machen", erklärt Dr. Gran in einem Interview mit CORDIS-Nachrichten. Die Funktionsweise des angeborenen Immunsystems besteht darin, Strukturbestandteile von Viren, Bakterien und anderen Krankheitserregern mithilfe der sogenannten Toll-like Rezeptoren (TRLs) zu erkennen. Die TRLs sind Mustererkennungsrezeptoren, die strukturelle Moleküle der Krankheitserreger sofort identifizieren, nachdem diese durch die Haut oder Darmschleimhaut in den Körper eingedrungen sind, und daraufhin eine Aktivierung der Immunzellen veranlassen. "Mit Beginn dieses Prozesses stimuliert das angeborene Immunsystem das adaptive Immunsystem zu einer Feinabstimmung bzw. zu einer spezifischeren Immunantwort." Die jüngste MS-Forschung hatte sich bislang im Wesentlichen mit dem adaptiven Immunsystem beschäftigt, so auch Dr. Gran. "Im Gegensatz dazu untersuchen wir jetzt erstmals die Fähigkeit des angeborenen Immunsystems zur Auslösung von Autoimmunreaktionen, wenn es um die Entstehung der Krankheitsmechanismen geht", sagte er. "Bei der Untersuchung des angeborenen Immunsystems konzentrieren wir uns auf zwei Aspekte: zum einen auf dessen Fähigkeit, pathogene Erreger durch Entzündungsreaktionen zu beseitigen, die mit Gewebeschädigungen einhergehen können, zum anderen auf die Fähigkeit, Moleküle mit regulatorischen Eigenschaften wie Interferon Typ I, Beta-Interferon und auch Alpha-Interferon zu produzieren. Unser Konzept besteht also darin, einige dieser Moleküle für die MS-Therapie nutzbar zu machen." Momentan wird MS mit Interferonen therapiert, meist mit Beta-Interferon. Auf dieses Molekül war man ursprünglich wegen seiner antiviralen Eigenschaften aufmerksam geworden, später jedoch entdeckte man auch dessen Einfluss auf das gesamte Immunsystem. Die Herstellungskosten für Beta-Interferon als Medikament zur Injektion sind allerdings beträchtlich, und eigentlich kann das menschliche Immunsystem selbst große Mengen an Beta-Interferon produzieren, beispielsweise zur Bekämpfung viraler Infekte. Nach der Hälfte der zweijährigen Projektlaufzeit begann Dr. Gran jetzt mit Versuchen an Mäusen und benutzt hierzu das EAE-Modell (Experimental Autoimmune Encephalomyelitis), das experimentell eine MS-Erkrankung bei Mäusen simuliert. Ergebnisse von In-vitro-Experimenten an Zellen von Mäusen und Menschen waren bereits vielversprechend: Entsprechend den Erwartungen von Dr. Gran stimulierten die Toll-like Rezeptoren die Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen, d.h. von Signalproteinen und Glykoproteinen, die für die Zellkommunikation verantwortlich sind, und von Interferon Typ I. Das Ziel des Projekts besteht nun darin, TLR-Agonisten (Substanzen, die sich an TLRs binden und die Zelle zu einer Reaktion veranlassen) soweit zu entwickeln, dass sie für klinische Tests am Menschen verwendbar sind. Dies wird sowohl die Lebensqualität von Menschen verbessern, die unter MS leiden, als auch Behandlungskosten reduzieren. Im Moment werden verschiedene aussichtsreiche Behandlungsstrategien gegen MS erforscht. "In den letzten fünfzehn Jahren haben wir große Fortschritte im Verstehen und in der Therapie von MS gemacht", betonte Dr. Gran und fügte hinzu, dass immer noch großer Bedarf bei der Erforschung der genetischen Veranlagung und des Zusammenhangs zwischen genetischen und umweltbedingten Faktoren besteht. "Viren beispielsweise können Krankheitsrückfälle verursachen, und kürzlich wurden auch einige interessante Fakten zum Epstein-Barr-Virus [aus der Familie der Herpes-Viren] veröffentlicht, laut denen dieser Erreger Menschen für MS anfällig machen könnte." Außerdem prognostiziert Dr. Gran individuellere, besser an den Patienten angepasste Therapiemöglichkeiten und eine größere Rolle für die Stammzellforschung. Allein in Europa leiden ungefähr 500.000 Patienten an MS. Multiple Sklerose zerstört die Isolierschicht, die die Axone oder Nervenfasern von Neuronen umhüllt, und behindert damit die Weiterleitung von neuronalen Reizen. Typische Anzeichen für MS sind Lähmungserscheinungen, Sensibilitäts- und Sehverlust sowie urogenitale Probleme. MS ist die häufigste neurologische Erkrankung bei Jugendlichen und betrifft zweimal mehr Frauen als Männer. Die jährlich im Zusammenhang mit MS entstehenden Kosten belaufen sich in Europa auf über 9 Milliarden Euro.
Länder
Italien, Vereinigtes Königreich