Medizinische Theorie umgestürzt
Neue Forschungen einer von der EU finanzierten Forschergruppe wirft neues Licht auf die Art und Weise, wie Blutgefäße wachsen, und stürzen damit Jahre alte medizinische Annahmen um. Die Erkenntnisse haben wichtige Implikationen für die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung von Krankheiten wie Krebs, von denen viele auf die Fähigkeit des Tumors, seine eigenen Blutzellen zu produzieren, abzielen. Angiogenese wird der Prozesse genannt, in dem neue Blutgefäße wachsen. Dies ist ein normaler Wachstums- und Entwicklungsprozess und spielt eine Schlüsselrolle bei einer Reihe von verschiedenen Situationen. Dazu gehören die Heilung von Wunden und Traumata, Herz-Kreislauf-Störungen, entzündliche Krankheiten wie Gelenkrheumatismus und die Krebsentwicklung. Allerdings ist der Prozess auch eine grundlegende Stufe bei der Wandlung eines Tumors von einem schlafenden zu einem bösartigen Zustand. Derzeitigen Annahmen zufolge haben Endothelzellen, die sich an den Blutgefäßen befinden, ihren Ursprung in zirkulierenden Stammzellen, die zuerst aus dem Knochenmark mobilisiert werden. Diese differenzieren sich in der Folge und bilden erwachsene echte Endothelzellen, die in die Blutgefäße aufgenommen werden. Dieses Konzept wurde zum Schulwissen und zu einem allgemeinen Thema moderner Gefäß- und Krebsbiologie. Kritischerweise ging man auch davon aus, dass Krebszellen auch von diesen zirkulierenden Stammzellen abhängig sind, um ihre eigenes Netzwerk von Blutgefäßen zu bilden. Aber eine europäisch-amerikanische Forschungsarbeit zeigt, dass zirkulierende Endothel-Precursorzellen aus dem Knochenmark nicht zum Gefäßendothel beitragen und dass sie auch nicht für das Tumorwachstum benötigt werden. Die Forschungsarbeit wurde von Dr. Petri Salvén von der Universität Helsinki, Finnland, und vom Pionier der Stammzellenforschung Dr. Irving Weissman an der Stanford Universität, Kalifornien, geleitet. Zusammen konnten sie erfolgreich zeigen, dass zirkulierende Endothel-Precursorzellen eigentlich nicht existieren und dass Angiogenese und Krebswachstum solch hypothetische Stammzellen weder mit einbeziehen noch von ihnen abhängen. Sie konnten dies zeigen, indem sie die Angiogenese bei Mäusen mithilfe der modernsten dreidimensionalen Abbildungstechnologien für Zellen untersuchten. Die Forscher merken an, dass sowohl Blutgefäße als auch Tumorgewebe eine große Menge von aus dem Knochenmark stammenden Zellen enthalten, beispielsweise weiße Blutzellen, die sich häufig in großer Nähe zu den Blutgefäßwänden befinden. Sie spekulieren, dass diese vielleicht in früheren Studien mit weniger fortschrittlichen Technologien als Endothelzellen der Blutgefäßwände missinterpretiert wurden. Die Ergebnisse sind von großer praktischer Bedeutung für Forscher, die neuartige Krebsmittel entwickeln wollen. Diese zielen auf die normalen Zellen des Körpers ab, die den Tumor mit Blut und Nährstoffen versorgen. "Unsere Ergebnisse werden den Forschern helfen, ihre Bemühungen auf molekulare und zelluläre Ziele zu konzentrieren, die wirklich existieren", sagt Dr. Salvén, Leiter des Teams in Helsinki. "Es war eine aufschlussreiche Erfahrung, Ergebnisse zu veröffentlichen, die demonstrieren, dass eine Reihe von Forscherkollegen jahrelang nicht existierende Zellen studiert hat", kommentiert Dr. Salvén. "Fragen zu Veröffentlichungsfehlern und nicht zugänglichen negativen Daten werden zunehmend wichtiger, wie man erst kürzlich in anderen Bereichen der Biomedizin gesehen hat." Ihre Ergebnisse sollen im Magazin Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America veröffentlicht werden. Die EU unterstützte diese Arbeit im Rahmen des Projekts "Tumor-Host Genomics", das durch den Themenbereich "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) gefördert wird.
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