Arktische Tauchfahrt nach Heilmitteln
Auf der Suche nach neuen Verbindungen, die für die Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden könnten, tauchen norwegische Forscher in die eisigen Tiefen des Arktischen Ozeans. Diese Arzneimittel könnten die Behandlung einer Reihe von Krankheiten und Leiden vereinfachen, wie z.B. von bakteriellen Infektionen, Krebs oder Diabetes. Bioprospektion (definiert als Suche nach interessanten und einzigartigen Genen, Molekülen und Organismen mit Merkmalen, die für eine kommerzielle Entwicklung wertvoll sein können) ist nichts Neues: Unerschrockene Forscher suchen schon seit Jahrzehnten in den Regenwäldern nach medizinisch aktiven Verbindungen. So haben 60% der knapp 900 neuen chemischen Substanzen, die in den vergangenen 20 Jahren auf den Markt gekommen sind, ihre Ursprünge in der Natur. Bis heute fanden die meisten Bioprospektionserkundungen jedoch auf dem Lande statt. Nun werden in Ökosystemen an Land aber immer weniger neue Verbindungen gefunden, so dass die Forschungsgemeinschaft der Bioprospektion ihre Aufmerksamkeit einer (noch) weitgehend unerschlossenen Quelle widmet: den Ozeanen. "In nur einem Liter Meerwasser gibt es Millionen von Bakterien. Das Potenzial ist demnach riesig", erklärt Dr. Jeanette Andersen, Forschungsmanagerin am MARBIO, einem Forschungszentrum für maritime Bioprospektion an der Universität Tromsø im Norden Norwegens. "Jetzt, da wir leichter in die Meeresumgebung eindringen können, steht uns ein ganz neuer Molekülbestand zur Verfügung." Ein Beispiel für ein Medikament mit maritimer Herkunft ist das Schmerzmittel Prialt. In der Natur wird die aktive Verbindung dieses Medikaments von der Kegelschnecke (Conus magus) produziert, die damit Fische lähmt. In der Medizin wird dieselbe Verbindung zur Behandlung chronischer Schmerzen eingesetzt. Das Team in Tromsø konzentriert seine Forschungsarbeit auf solche Arten, die in den Meeren um die Arktis beheimatet sind. "Wir glauben, dass die Arktis wirklich einzigartig ist", berichtet Dr. Andersen. Arten, die in dieser Region leben, haben eine Reihe besonderer physiologischer und biochemischer Fähigkeiten entwickelt, um in der rauen arktischen Umgebung überleben zu können. Die Wissenschaftler hoffen nun, dass einige dieser Fähigkeiten für den Einsatz in der Medizin in Frage kommen. Wissenschaftler aus den verschiedensten Bereichen sowie KMU (kleine und mittlere Unternehmen), die auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung tätig sind, arbeiten gemeinsam daran, arktische Meeresorganismen auf nützliche Verbindungen hin zu untersuchen und hoffentlich interessante neue Wirkstoffe zu entwickeln. Das erste Stadium in diesem Verfahren umfasst die Sammlung von Proben. Glücklicherweise steht den Wissenschaftlern hierfür ein Forschungsschiff zur Verfügung. Jede Probe wird protokolliert und mit Informationen zur Art und zu den Umweltbedingungen, die am Fundort herrschen, gekennzeichnet. Dies ist ein wichtiger Schritt, da die gleiche Art z.B. bei unterschiedlichen Temperaturen verschiedene Verbindungen erzeugen kann. Zurück im Labor werden größere Organismen aufgegliedert, sodass einzelne Organismen separat analysiert werden können. Die Forscher verfügen derzeit über Proben von etwa 500 Organismen, hauptsächlich wirbellose Tiere, die sie in ihren Laboren in Gefrierapparaten und Konservengläsern aufbewahren. Die Proben werden unzähligen Tests unterzogen, anhand derer herausgefunden werden soll, ob sie Verbindungen mit antioxidanten Eigenschaften enthalten oder solche, die zur Bekämpfung von Krebsgeschwüren oder bakteriellen Infektionen, zur Linderung von Entzündungen oder zur Verbesserung der Blutzuckerregulierung bei Diabetes verwendet werden könnten. Die Proben werden aufbereitet und erneut getestet, bis alle potenziell interessanten Verbindungen getrennt sind. Bis jetzt haben die Wissenschaftler ihre Datenbank mit etwa 200 solcher Verbindungen gespeist. Die meisten von ihnen sind der Wissenschaft wahrscheinlich nicht neu; aber Dr. Andersen betont, dass das Auffinden bereits bekannter Moleküle nicht unbedingt negativ sein muss. Zum einen beweist dies, dass die MARBIO-Untersuchungsverfahren gut funktionieren, und zum anderen könnten die Forscher eine neue Verwendungsmöglichkeit für ein bereits bekanntes Molekül finden. Viele Bioprospektoren untersuchen ihre Proben lediglich auf eine oder zwei Eigenschaften, MARBIO hingegen auf viel mehr. Im nächstfolgenden Verfahrensstadium konzentriert man sich auf diese interessanten Verbindungen und auf die Bestimmung ihrer Struktur, ihrer Eigenschaften und ihrer Wirkungsweise. Dieses Stadium ist äußerst zeitaufwändig, und eine wichtige Aufgabe der Forscher hierbei ist es, zu entscheiden, welchen Molekülen sie für diese Arbeit den Vorrang geben sollen. Nach dem derzeitigen Stand der Forschungsarbeiten hat das Team neun Verbindungen, zu denen Dr. Andersen allerdings aus kommerziellen Gründen keine näheren Angaben machen kann. Das Team arbeitet indes mit einem russischen Forschungsinstitut in Murmansk zusammen, das sich mit den in der Barentssee vor der Nordküste Russlands heimischen Arten näher befassen wird. Die Forscher wirken außerdem bei einem Konsortium mit, das sich um eine Finanzierung durch das Siebte Rahmenprogramm der EU (RP7) bewirbt. Dr. Andersen sieht optimistisch in die Zukunft: "Wir glauben fest daran, dass wir viele neue Moleküle finden werden, nicht nur zur Entwicklung von Arzneimitteln, sondern auch zu diagnostischen Zwecken. Einige könnten auch für funktionelle Lebensmittel genutzt werden."
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Norwegen