Wissenschaftler finden heraus: Traditionen bei Erdmännchen eher kurzlebig
Forschungen zu dem Thema der Bildung und Bewahrung von Traditionen in Gemeinschaften wilder Erdmännchen ergaben, dass willkürliche Traditionen zwar entstehen können, sie aber eher nicht von Dauer sind. Die neuen Erkenntnisse wurden in den "Proceedings of the Royal Society B" veröffentlicht. In menschlichen Gemeinschaften sind willkürliche Traditionen an der Tagesordnung. Sie entstehen, wenn Menschen Entscheidungen von Mitmenschen auch dann nachahmen, wenn andere günstige Wahlmöglichkeiten vorhanden sind. Frühere Forschungen ließen darauf schließen, dass solche Traditionen ebenso in Tiergesellschaften vorkommen könnten. Diese Studien beschäftigten sich jedoch mit Tieren in Gefangenschaft und so war es in vielen Fällen eher fraglich, ob es sich um eine willkürliche Tradition handelte. Wenn sich beispielsweise ein Tier dazu entschließt, selbst dann die gleiche Nahrung wie andere Tiere in der Gruppe zu fressen, wenn andere Nahrung verfügbar wäre, dann kann dies damit zusammenhängen, dass beim Fressen unbekannter Nahrung die Gefahr der Vergiftung besteht. Dementsprechend benutzen viele Tiere immer die gleichen Wege, auch wenn es kürzere Alternativen gibt. Handelt es sich hier um eine willkürliche Tradition oder werden die Wege hartnäckig weiterbenutzt, da die Erforschung alternativer Wege die Sicherheit der Gruppe gefährdet? Für diese neueste Studie untersuchten Wissenschaftler der Universität Cambridge im Vereinigten Königreich und der Ecole Normale Supérieure Paris in Frankreich wilde Erdmännchen in der Kalahari-Wüste in Südafrika. Die Erdmännchen dieses Gebiets werden seit vielen Jahren von Wissenschaftlern beobachtet und sind an deren Anwesenheit gewöhnt. Die Wissenschaftler dressierten "Vorführer" in sieben Erdmännchengruppen darauf, an einem von zwei gekennzeichneten Geländepunkten Futterbelohnungen zu bekommen. Zwei Kontrollgruppen hatten keinen Vorführer. In den ersten Phasen der Untersuchung bevorzugten die Erdmännchen der Gruppen mit Vorführern anfänglich keinen der Punkte. Im Lauf der Zeit begannen die Erdmännchen jedoch bald die Vorliebe der Vorführer für einen speziellen Punkt nachzuahmen, obwohl doch auch an dem anderen Geländepunkt Futter zur Verfügung stand. Interessanterweise wurde eher das Verhalten der älteren Tiere als das der Jungen nachgeahmt. Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Verhaltensweise darauf zurückzuführen ist, dass jüngere Tiere weniger Erfahrung bei der Nahrungssuche haben und so als eine weniger zuverlässige Informationsquelle betrachtet werden. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine traditionelle Vorliebe bezüglich der Geländepunkte. Diese Gruppenpräferenz war jedoch nicht von Dauer. "Die Tiere lernten den einen Punkt im Gelände kennen, dann begannen sie den anderen zu erforschen und lernten, dass er in gleicher Weise nützlich ist. So degenerierten die Traditionen im Laufe des Experiments", schreiben die Wissenschaftler. Das soziale Lernen über den einen Geländepunkt erhöhte sozusagen die Wahrscheinlichkeit, dass die Erdmännchen den anderen Geländepunkt einer Untersuchung unterziehen. Die Wissenschaftler glauben, dass in der Natur vorzufindende willkürliche Traditionen eher vergänglich und kurzlebig sind. "Diese Studie untermauert die Behauptung, dass die Fortdauer von Traditionen bei nichthumanen Tierpopulationen in Ermangelung von starken übereinstimmenden Vorlieben vom relativen Einfluss sozialen und individuellen Lernens abhängt", folgern die Wissenschaftler. "Während soziales Lernen Individuen dazu bringt, das gleiche Verhalten wie andere Einzelwesen der Population an den Tag zu legen, kann individuelles Lernen zur Entdeckung von Alternativen führen, was dann die Beständigkeit der Traditionen verringert."
Länder
Frankreich, Vereinigtes Königreich