Niedrigster jemals gemessener Blutsauerstoffgehalt bei Mount-Everest-Besteigern ermittelt
Erstmals wurden bei Bergsteigern nahe dem Mount-Everest-Gipfel Messungen des Sauerstoffgehalts im Blut vorgenommen. Diesen Kraftakt unternahm eine von Medizinern des University College London, Vereinigtes Königreich, geleitete Expedition. Die Ergebnisse wurden jüngst im Fachmagazin New England Journal of Medicine veröffentlicht. Mount Everest: Allein schon der Name lässt ehrfürchtig innehalten. Bergsteiger buchen schon viele Jahre im Voraus, um das Privileg einer Gipfelbesteigung zu erhalten. Nun hat ein Team aus Medizinern vom University College London dort erfolgreich eine Basis eingerichtet, die der wissenschaftlichen Erforschung der Auswirkungen der extremen Bedingungen am Berg auf den menschlichen Organismus dienen soll. Die Erkenntnisse kommen einerseits Bergsteigern und andererseits denjenigen zugute, die an Krankheiten wie beispielsweise dem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) oder dem "Blue Baby"-Syndrom leiden. Das Caudwell Xtreme Everest-Team bestand aus im Bergsteigen erfahrenen Ärzten. Sie erstiegen den Gipfel und nahmen in einer Höhe von 8.400 Metern über dem Meeresspiegel Blutmessungen vor, wobei das Blut aus den Beinarterien entnommen wurde. Die Forscher fanden in der Praxis bestätigt, was theoretisch schon lange als sicher galt: Bergsteiger haben im Hochgebirge unglaublich niedrige Blut-Sauerstoffwerte, bei denen sich Patienten auf Meeresspiegelniveau schon in einem äußerst kritischen Zustand befänden. Das Team war mit Sauerstoffmasken unterwegs, die jedoch 20 Minuten vor der Entnahme abgelegt wurden, sodass sich die Lungen der Teilnehmer an die Atemluft mit geringem Sauerstoffgehalt anpassen konnten. Bei Temperaturen von -25°C und Wind mit einer Geschwindigkeit von über 20 Knoten konnte die Blutentnahme nicht auf dem Gipfel durchgeführt werden. Die Einhaltung erforderlicher Sicherheitsvorkehrungen gebot die Rückkehr in einen tiefer liegenden sicheren Bereich nahe dem Gipfel. An diesen Ort entnahmen sich die Mediziner ohne Handschuhe und bei geöffneten Anzügen das Blut aus den Oberschenkelarterien in der Leistengegend. Das entnommene Blut von vier Teammitgliedern wurde anschließend den Berg heruntergebracht, um innerhalb von zwei Stunden in einem wissenschaftlichen Labor im Camp des Teams auf 6.400 Metern Everest-Höhe analysiert zu werden. Der normale durchschnittliche arterielle Sauerstoffgehalt liegt beim Menschen zwischen 12 und 14 kPa. Patienten mit einem Wert von weniger als 8 kPa befinden sich in einem kritischen Zustand. Die Proben der Expeditionsteilnehmer hatten Werte von durchschnittlich 3,28 Kilopascal (kPa), der niedrigste Wert lag sogar nur bei 2,55 kPa. Da die festgestellten Werte so weit unterhalb der erwarteten Werte lagen, vermuteten die Wissenschaftler, dass die Ansammlung von Flüssigkeit in den Lungen in Folge der großen Höhe zu den niedrigen Sauerstoffgehalten beigetragen haben könnte. Die Expedition wurde von Dr. Mike Grocott, leitender Dozent für Intensivmedizin am UCL, geleitet. Er kommentierte: "Indem wir gesunde Menschen in großer Höhe untersuchen, wo Sauerstoff eher knapp ist, erfahren wir viel über physiologische Veränderungen im Körper. Damit können wir die Intensivtherapie im Krankenhaus verbessern, denn dort sind niedrige Sauerstoffwerte fast immer ein ernsthaftes Problem. Diese bei Bergsteigern in großer Höhe festgestellten außergewöhnlich niedrigen Werte könnten Ärzte dazu anregen, die Behandlungsziele bei kritisch kranken Patienten zu überdenken, die bereits seit einiger Zeit krank sind und sich möglicherweise an geringe Blutsauerstoffwerte angepasst haben." Bei der Interpretation der Studienergebnisse ist jedoch Vorsicht geboten. "Unsere Feststellungen müssen weiterführend sorgfältig bewertet werden, bevor sie Eingang in die klinische Praxis finden können", so Dr. Grocott. "Wir hoffen sehr, dass die laufende Forschungsarbeit schließlich zu besseren Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit akutem Atemnotsyndrom, Mukoviszidose, Emphysem, septischem Schock, Blue-Baby-Syndrom und anderen kritischen Erkrankungen führen wird."
Länder
Nepal, Vereinigtes Königreich