Globale Erwärmung gibt im Eis eingeschlossene Schadstoffe frei
Schmelzende Gletscher in den Alpen können durch die Freisetzung von Schadstoffen, die für Jahrzehnte im "ewigen" Eis eingefroren waren, schwere Umweltschäden verursachen - so die Aussage einer aktuellen Studie von Wissenschaftlern aus der Schweiz. Das Schmelzwasser, das durch die anhaltende Gletscherschmelze entsteht, kann Chemikalien enthalten, die schon lange verboten sind oder gar nicht mehr produziert werden. Forscher der schweizerischen Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH Zürich), der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) und der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) analysierten Sedimentschichten aus dem hochalpinen Oberaar-Stausee in der Schweiz. Die Wissenschaftler konnten die Prozesse rekonstruieren, durch die sich in den letzten 60 Jahren die langlebigen organischen Verbindungen im Eis angesammelt haben, und veröffentlichten ihre Erkenntnisse im Fachjournal Environmental Science and Technology. Diese Verbindungen werden als Altlasten bezeichnet und die Forscher mussten feststellen, dass eine beschleunigte Gletscherschmelze in erhöhten Gehalten dieser Chemikalien in Alpenregionen resultieren kann. In den Alpen vorhandene Altlasten sind aus mehreren Gründen gefährlich, so etwa aufgrund der Schneeschmelze im Frühjahr, der Nutzung des Gletscherschmelzwassers durch Verbraucher und Industrie sowie der Tatsache, dass Mensch und Tier dann diesen gefährlichen Verbindungen in erhöhtem Maße ausgesetzt wären. "In Anbetracht der für die Zukunft prognostizierten anhaltenden globalen Erwärmung und des beschleunigten massiven Abschmelzens der Gletscher zeigt unsere Studie das Potenzial an fatalen Auswirkungen auf die Umwelt, die auf in die unberührte Natur eindringende Schadstoffe zurückzuführen wären", warnen die Forscher. Wenn die Gletscher schmelzen, fließen die angesammelten Chemikalien - vor Jahren von Luftströmen auf der Schneedecke abgelagert und dann im Eis eingefroren - mit der Gletschermilch in den nächsten Gletschersee. Dort sinken sie zusammen mit den Schwebstoffen aus dem Gletscherschmelzwasser auf den Grund und lagern sich im Sediment ab. Die Forscher suchten nach einer Vielzahl von Schadstoffen, einschließlich persistenter organischer Schadstoffe, chlororganischer Pestizide und synthetischer Moschus-Duftstoffe. Die Sedimentschichten der Proben aus dem Oberaar-Stausee konnten von den Wissenschaftlern wie Jahresringe von Bäumen gelesen werden - sie verfolgten Schicht für Schicht die Zeit bis 1953 zurück, als der Damm gebaut und der See angelegt wurde. Beim Lesen der Ringe waren die Forscher nicht nur in der Lage, die von 1960 bis 1970 produzierten umweltgefährdenden Stoffe zu unterscheiden, sondern sie konnten auch das Zurückgehen der Schadstoffmenge erkennen, nachdem sie schließlich verboten wurden. Alarmierend sind allerdings erhöhte Schadstoffgehalte aus den 1990er Jahren. Dies könnte nach Angaben der Forscher teilweise auf den Abfluss des Oberaargletschers zurückzuführen sein, der allein in den letzten zehn Jahren um mehr als 120 Meter schrumpfte und so relativ große Mengen gespeicherter toxischer Substanzen freigeben konnte. Die Proben vom Oberaarsee wurden mit Kernproben aus Seen in tieferen Lagen verglichen. Sedimente aus diesen Seen zeigten zum Ende der 1990er Jahre keinen vergleichbaren Anstieg an Altlasten. Dieses Ergebnis stützt die Hypothese, dass die erhöhten Konzentrationen an Altlasten im Oberaarsee aus der Gletscherschmelze resultieren. Die Studie schließt mit den Worten: "Die Kopplung der Gletscherdynamik mit den Schadstoffkreisläufen ist ein komplexes Thema und repräsentiert ein ziemlich schlecht untersuchtes Forschungsgebiet. Die laufenden Arbeiten auf diesem Gebiet können uns zusätzliche Einblicke in das Schicksal persistenter organischer Schadstoffe in der alpinen Umwelt verschaffen."
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