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Inhalt archiviert am 2024-04-17

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Helsinki-Gruppe fördert seit 10 Jahren Frauen in der Wissenschaft

Vor 10 Jahren setzte die Europäische Kommission eine Gruppe ein, um europaweit die Beteiligung von Frauen in der Wissenschaft zu stärken. Das Engagement der sogenannten Helsinki-Gruppe ist auch an ihrem 10. Jubiläum ungebrochen. In einem Interview mit CORDIS Nachrichten blic...

Vor 10 Jahren setzte die Europäische Kommission eine Gruppe ein, um europaweit die Beteiligung von Frauen in der Wissenschaft zu stärken. Das Engagement der sogenannten Helsinki-Gruppe ist auch an ihrem 10. Jubiläum ungebrochen. In einem Interview mit CORDIS Nachrichten blickt Tiia Raudma vom Referat Wissenschaftskultur und Geschlechterfragen der Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission auf die bisherigen Errungenschaften der Helsinki-Gruppe zurück und äußert sich zu noch anstehenden Herausforderungen. Tiia Raudma kennt sich gut aus mit der Geschichte der Initiative. Im Zuge ihrer Tätigkeit im Estnischen Forschungsrat wurde sie 1999 eines der Gründungsmitglieder der Helsinki-Gruppe. Die Gründungsveranstaltung fand 1999 im direkt an der Küste Helsinkis gelegenen Konferenzzentrum im dunklen und kalten Dezember statt, wie sie sich erinnert. Die Teilnehmer, viele von ihnen mit gänzlich verschiedenen kulturellen Hintergründen, sahen sich damals zum ersten Mal. Einige hatten sich bereits mit Gleichstellungsfragen befasst und äußerten ihre Ansichten klar und deutlich, andere wiederum waren mit dieser Thematik überhaupt nicht vertraut und wussten nicht so recht, worauf die Veranstaltung hinauslaufen sollte. Trotzdem eröffnete, wie sich Tiia Raudma erinnert, "dieses erste Treffen allen Beteiligten faszinierende neue Einblicke". Übereinstimmend wurde damals festgestellt, dass nicht genügend Frauen eine wissenschaftliche Karriere einschlugen und alle wichtigen Führungspositionen in der Wissenschaft Männern vorbehalten waren. Eines der Haupthindernisse bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen war jedoch der eklatante Mangel an Daten. Mit Unterstützung der Helsinki-Gruppe widmete sich die Europäische Kommission daraufhin dieser Problematik. Eurostat verfügte zu diesem Zeitpunkt noch nicht über so umfassende Möglichkeiten zur Datenerfassung wie es heute der Fall ist, daher stammten viele Daten von einem speziell eingerichteten Netzwerk "statistischer Korrespondenten der Helsinki-Gruppe". Und dies sei nicht unbedingt einfach gewesen. "Auf meine Nachfrage beim Büro für statistische Erfassung erhielt ich meist die übliche Antwort: Viel haben wir nicht!", so Tiia Raudma. Da Estland so klein ist, war es immerhin möglich, in einem Durchgang telefonisch alle statistischen Daten der Universitäten abzufragen, fügt sie hinzu. Die Korrespondenten größerer Länder hatten es da deutlich schwerer. Oftmals lagen überhaupt keine Informationen über Frauen in der Wissenschaft vor, da statistisch nicht zwischen weiblichen und männlichen Forschern unterschieden wurde. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten gelang es der Gruppe jedoch, eine erste Version von "She Figures" (Frauenzahlen) zusammenzustellen, aus denen erkennbar wurde, wie viele oder (wie wenige) Frauen eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen und, was noch wichtiger war, eine leitende Stelle innehatten. Die Statistik zeigte nicht nur die Hürden für Frauen in der Wissenschaft auf, sondern enthüllte noch einen weiteren interessanten Zusammenhang, erläutert Tiia Raudma. In Ländern, in denen Forschung und Entwicklung (F&E) stark gefördert wird, ist das Gehalt für Forscher höher, sodass mehr Männer (und demzufolge weniger Frauen) sich für eine Forscherkarriere entscheiden. Länder wiederum, die weniger in Forschung investieren, bezahlen auch ihre Forscher schlechter, und so ist der Frauenanteil höher. Tiia Raudma betont, dass zwar Ausnahmen die Regel bestätigten, die Ergebnisse jedoch deutlich darauf verwiesen, dass man nicht "unbesehen Gelder in Forschung und Entwicklung stecken und dabei außer acht lassen könne, wie Forschung betrieben wird". Zudem sei das heutige Forschungssystem so ausgerichtet, dass Männer forschen und ihre Frauen den Haushalt führen, und man somit der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinke. Dieses System bedürfe einer umgehenden Modernisierung, so ihre Argumentation, die das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit eingehender berücksichtige und mehr Flexibilität ermögliche, wovon durchaus auch Männer profitieren könnten. Gestützt durch diese detaillierten statistischen Analysen spielt die Helsinki-Gruppe seither eine wichtige Rolle, um der Thematik Frauen und Wissenschaft einen größeren Stellenwert in der Forschungspolitik zu verschaffen - auf allen Ebenen werde dies nun ernst genommen. Und dennoch, so das Fazit von Tiia Raudma, "ist es uns noch nicht ganz gelungen, die Problematik in der Forschungslandschaft jedem einzelnen zu verdeutlichen. Die Aufgabe der Helsinki-Gruppe ist noch nicht vollendet." Einige Länder seien im Vergleich schon einen großen Schritt vorangekommen. Trotzdem stieße die Thematik in ungefähr der Hälfte der in der Helsinki-Gruppe vertretenen Länder noch immer auf sehr verhaltenes Interesse (die Mitglieder rekrutieren sich aus EU-Mitgliedstaaten sowie assoziierten Ländern, die sich an den EU-Forschungsprogrammen beteiligen.) Die Helsinki-Gruppe ist ein wichtiges Forum für die Mitgliedstaaten und die Kommission, um diese Fragen offen auf den Tisch zu bringen, Ideen auszutauschen und optimale Vorgehensweisen zu erörtern. In die Zukunft blickend bringt Tiia Raudma ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass in den kommenden 10 Jahren viele der Ideen und Empfehlungen der Helsinki-Gruppe vollständig umgesetzt sein werden. Und bis zu diesem Tag wird die Gruppe mit Berichten und Statistiken verdeutlichen, dass es ein Verlust für die Forschergemeinschaft sei, wenn es eine Frau ist, die aus der Wissenschaft ausscheidet.

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