Europäische Forscher enthüllen molekularen Bauplan einer Minimalzelle
Einem deutsch-spanischen Forscherteam gelang es, praktisch sämtliche Zellvorgänge in einer "Minimalzelle" zu charakterisieren. Das Bakterium Mycoplasma pneumoniae ist der Auslöser für atypische Pneumonie. Die im Fachblatt "Science" veröffentlichte Studie ist Teil der Projekte 3D-REPERTOIRE und PROSPECTS, die mit 13 Millionen EUR bzw. 11,78 Millionen EUR durch EU-Fördermittel finanziert wurden. Die Forscher am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg und am Centre de Regulacio Genòmica (CRG) in Barcelona, Spanien, gingen u.a. der Frage nach, welche Mindestausstattung Organismen benötigen, um unabhängig von einem Wirt lebensfähig zu sein. Die in drei Publikationen in "Science" vorgestellten Ergebnisse vermitteln neue Einblicke in die grundlegende Biologie von Bakterien. Der Modellorganismus, den die Arbeitsgruppe um Dr. Peer Bork, Dr. Anne-Claude Gavin und Dr. Luis Serrano für ihre Untersuchungen wählte, war die winzige, einzellige Bakterie namens Mycoplasma pneumoniae, der Erreger der atypischen Pneumonie. Es handelt sich dabei um einen der kleinsten Prokaryoten (eine Zelle ohne Zellkern), der sich replizieren kann, ohne auf die Zellmaschinerie des Wirts angewiesen zu sein. Da M. pneumoniae komplex genug ist, um selbstständig zu überleben, jedoch über einen relativ einfachen Aufbau verfügt, erfüllt es die Bedingungen für eine so genannte "Minimalzelle". Die Forscher am Institut für Strukturbiologie und Bioinformatik des EMBL und der Partnerschaftseinheit EMBL/CRG für Systembiologie des CRG untersuchten das Bakterium auf drei molekularen Ebenen. Gruppe 1 identifizierte sämtliche RNA-Moleküle (RNA - Ribonukleinsäure), in die das Erbgut übersetzt wird, unter verschiedenen Umweltbedingungen. Gruppe 2 erfasste das Metabolom - die Gesamtheit der Stoffwechselvorgänge innerhalb von M. pneumoniae - unter den gleichen Bedingungen. Gruppe 3 konzentrierte sich auf die Gesamtheit der Proteinkomplexe, die Proteomorganisation, und damit auf die Frage, welche Proteine wann gebildet werden und wie sie miteinander interagieren. "Auf allen drei Ebenen erwies sich das Bakterium M. pneumoniae komplexer als erwartet", erklärte Dr. Serrano vom CRG, einer der Ko-Initiatoren des Projekts am EMBL. Proteom- und Metabolomanalysen enthüllten die Multifunktionalität vieler Moleküle, wobei metabolische Enzyme Mehrfachreaktionen katalysieren und viele Proteine zum Teil an mehreren Proteinkomplexen beteiligt sind. Den Forschern zufolge kombiniert M. pneumonia biologische Prozesse auch auf räumlicher und zeitlicher Ebene. Die Komponenten der Zellmaschinerie werden meist in "zwei aufeinander folgenden Schritten eines biologischen Prozesses zusammengesetzt". Dabei sei die Regulierung des bakteriellen Transkriptoms (die Gesamtheit aller in einer Zelle oder Zellpopulation produzierten RNA-Moleküle) der von Eukaryoten (Organismen, deren Zellen einen Zellkern besitzen) ähnlicher als bislang angenommen. Ein Großteil der DNA-Transkripte von M. Pneumoniae werde nicht in Proteine übersetzt. Auch würden nicht immer alle Gene einer Gruppe transkribiert, die Bakterien seien stattdessen in der Lage, einzelne Gene innerhalb einer Gruppe nach Bedarf ein- oder auszuschalten. Da einige Funktionen des Bakteriums denen höherer Organismen ähneln, kann es seinen Stoffwechsel an extreme, für andere Organismen abträgliche Umweltbedingungen anpassen, wie die Forscher außerdem herausfanden. "Das liegt hauptsächlich an diesen ähnlichen Funktionen", sagte Dr. Gavon vom EMBL. "Selbst die einfachsten Organismen sind ohne diese Funktionen nicht lebensfähig, die sich daher auch in Millionen von Jahren evolutionärer Entwicklung nicht verändert haben - sie bilden die Grundlage des Lebens." Das Projekt 3D-REPERTOIRE (A multidisciplinary approach to determine the structures of protein complexes in a model organism) wurde unter der Thematik "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit" des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) finanziert. Das Projekt PROSPECTS (Proteomics specification in time and space) erhielt EU-Fördermittel im Rahmen des Themenbereichs "Gesundheit" des Siebten Rahmenprogramms (RP7).
Länder
Deutschland, Spanien