EU-Forscher erschaffen virtuelles Labor für die HIV-Behandlung
EU-Forscher haben ein virtuelles Labor entwickelt, mit dem Ärzte rund um den Globus Medikamente auf Patienten abstimmen und die für AIDS verantwortliche HIV-Infektion sowie andere Infektionskrankheiten erfolgreicher behandeln können. Die EU unterstützte die Forschungsarbeiten über das VIROLAB-Projekt ("Virtual laboratory for decision support in viral diseases treatment"), das unter dem Themenbereich "Technologien für die Informationsgesellschaft" (IST) des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) mit 3,3 Mio. EUR finanziert wurde. Für das VIROLAB-Portal, das noch vor Ende 2010 freigeschaltet werden soll, kommen die neuesten Entwicklungen auf den Gebieten des maschinellen Lernens, des Data-Minings, des Grid-Computings, der Modellierung und der Simulation zum Einsatz, um den Inhalt von Millionen von Artikeln aus Fachzeitschriften, Datenbanken und Patientenanamnesen derart in Wissen umzusetzen, dass Krankheiten erfolgreicher behandelt werden können. Das virtuelle Labor wird derzeit von bis zu sieben Krankenhäusern genutzt, die damit ihren HIV-Patienten eine individuelle Behandlung ermöglichen. Allgemein stößt das Projekt bei Ärzten auf ein breites Interesse, die es bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützend einsetzen könnten. "Durch die Einbeziehung von Daten verschiedener Art erschließen wir bei VIROLAB neue Behandlungswege. Angefangen von Informationen zum Erbgut und molekularen Wechselwirkungen im Körper, die innerhalb von Nanosekunden gemessen werden, bis hin zu soziologischen Wechselwirkungen auf epidemiologischer Ebene, die Jahre des Fortschreitens der Krankheit abdecken, wird alles erfasst", so VIROLAB-Koordinator Peter Sloot, Informatikwissenschaftler an der Universität von Amsterdam in den Niederlanden. HIV ist, wie jedes andere Virus auch, mit erheblichen Problemen verknüpft, da es häufig mutiert und innerhalb kurzer Zeit Arzneimitteln gegenüber resistent werden kann. Für Ärzte ist es daher wichtig zu wissen, bei welchen Medikamenten die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten. Gleichzeitig müssen aber auch der Virusstamm, die Krankengeschichte des Patienten, die Erbinformationen und sogar soziologische Faktoren berücksichtigt werden. "Das ist vergleichbar mit einem Schloss und dem zugehörigen Schlüssel", erklärt Prof. Sloot. "Dabei sind die Medikamente die Schlüssel, die für bestimmte Schlösser, zu denen die Viren gehören, angefertigt werden. Verändert sich das Schloss, dann passt der Schlüssel nicht mehr - und jedes Schloss ist bei jedem Patienten anders. Darum brauchen wir individuelle Medikamente." Stetig durchsucht das System vernetzte Datenbanken mit virologischen, immunologischen, klinischen, genetischen und aus Experimenten gewonnenen Daten und greift auf Fachzeitschriften und weitere Informationsquellen zurück. Anschließend werden diese Daten verarbeitet, um eine maschinenlesbare semantische Bedeutung zu erhalten, und schließlich analysiert, um Modelle zu den wahrscheinlichen Auswirkungen verschiedener Arzneimittel auf einen bestimmten Patienten zu erstellen. Daraufhin wird jedes Medikament vor dem Hintergrund der individuellen Krankengeschichte des jeweiligen Patienten seiner voraussichtlichen Wirksamkeit entsprechend eingestuft. Die Daten werden dann über eine benutzerfreundliche Web-Oberfläche ausgegeben. Das System zeichnet alles auf, was von ihm selbst und vom Arzt unternommen wird, um das richtige Medikament für einen Patienten zu finden. Mit seiner Hilfe wird es möglich, Krankheitsfälle von Patienten zu vergleichen, die bisweilen nur ein paar Straßen oder aber auch Tausende von Kilometern voneinander entfernt leben. Darüber hinaus kann das System Modelle erstellen, mit denen eine wahrscheinliche Verbreitung oder Weiterentwicklung verschiedener Virenmutationen nicht nur auf der Grundlage medizinischer Daten, sondern auch unter Einbeziehung soziologischer Informationen simuliert werden kann. "Nehmen wir einmal an, einem Staat stehen 500 Mio. EUR für die HIV-Forschung zur Verfügung. Nun stellen sich die verantwortlichen Stellen die Frage, ob sie eher die Entwicklung neuer Medikamente oder aber Präventionsmaßnahmen fördern sollen. Hierbei können wir beratend zur Seite stehen und herausfinden, was effektiver wäre", hebt Prof. Sloot hervor. Dass das Projekt dem HIV gewidmet wurde, lag ihm zufolge hauptsächlich an dem Ausmaß und der Bedeutung von AIDS und an der Datenfülle zu dieser Krankheit. Die Arzneimittelresistenz des HIV ist einer der wenigen Bereiche der Medizin, in dem bereits seit vielen Jahren in großem Umfang Informationen zum Erbgut verwendet werden. Prof. Sloot und seine VIROLAB-Partner beschäftigen sich derzeit damit, wie das Programm eingesetzt werden könnte, um individuelle Medikamentenrangfolgen zu erarbeiten, damit die Behandlung von Patienten mit anderen Erkrankungen verbessert werden kann. Diese Forschungsarbeiten laufen über DYNANETS ("Computing real-world phenomena with dynamically changing complex networks"), einem EU-finanzierten Projekt, bei dem man sich mit der Wirkung von Medikamenten bei denjenigen Menschen beschäftigt, die mit dem arzneimittelresistenten HIV infiziert sind, aber auch denjenigen, die das H1N1-Virus in sich tragen oder damit in Zusammenhang stehende Infektionen haben. Unterstützt wird das DYNANETS-Projekt mit 2,41 Mio. EUR.