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Inhalt archiviert am 2023-03-09

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Virtuelle Selbsthilfegruppen: nützlich, aber mit Vorsicht zu genießen

Im Zeitalter des Internets ist es für uns wesentlich einfacher geworden, Rat zu suchen und zu finden, wenn schwierige und beunruhigende Probleme auftauchen. Ganz besonders gilt das auch für Menschen, die mit einer lebensbedrohlichen Diagnose wie Prostatakrebs konfrontiert werd...

Im Zeitalter des Internets ist es für uns wesentlich einfacher geworden, Rat zu suchen und zu finden, wenn schwierige und beunruhigende Probleme auftauchen. Ganz besonders gilt das auch für Menschen, die mit einer lebensbedrohlichen Diagnose wie Prostatakrebs konfrontiert werden. Ein deutsches Wissenschaftlerteam hat nun diese neuen Kommunikationsmuster erforscht, indem analysiert wurde, auf welche Weise Patienten mit Prostatakrebs online auftreten. Die in der Fachzeitschrift British Journal of Urology (BJU) International veröffentlichten Ergebnisse basieren auf einer Analyse von 501 Threads (zusammenhängenden Diskussionsfäden), die im Zeitraum von 32 Monaten auf Deutschlands größtem Onlineforum für Prostatakrebs geschrieben wurden, das vom Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfegruppe e.V. betrieben wird. Die Forscher werteten insgesamt 1630 Postings (Einzelbeiträge) aus 83 Threads aus, die von Männern gestartet wurden, die von ihrer Diagnose erfahren hatten und auf der Suche nach Hilfe bei der Entscheidungsfindung waren. Das Team schloss vom Thema abweichende Threads und sämtliche Einzelbeiträge aus, die seitens eines Ratsuchenden geschrieben wurden. Im Gegensatz zu vielen anderen Erkrankungen können beim lokal begrenzten Prostatakarzinom die Entscheidungen zur individuellen Behandlung nicht allein auf rein medizinischer Grundlage getroffen werden. Es gibt in diesem Fall etliche verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, über die der Patient nachdenken muss. Prostatakrebs ist seiner Natur nach eine eher intime, heikle und private Krankheit. Wie Dr. Johannes Huber, Hauptautor der Studie von der Universität Heidelberg erläutert, spielt genau aus diesem Grund die soziale Unterstützung "für die meisten Patienten mit Prostatakrebs eine sehr wichtige Rolle." In der wissenschaftlichen Untersuchung zeigte sich, dass von den im Forum gestellten Fragen 79% eher speziell und die restlichen 21% mehr allgemeiner Art waren. Die Top 3 der Fragen betrafen Therapieempfehlungen, Behandlungen und die damit verbundenen Nebenwirkungen. Über diese eher praktischen Fragen hinaus suchten 46% der Männer emotionale Unterstützung. Die im Forum gegebenen Antworten betrafen zu 40% Behandlungsempfehlungen, 37% boten emotionale Unterstützung an und 28% offerierten anekdotenhafte persönliche Erfahrungen und Berichte. Das Team stellte außerdem fest, dass die Forumnutzer in der analysierten Stichprobe häufiger von chirurgischen Maßnahmen abrieten und stattdessen eine Strahlentherapie empfahlen. Doch obwohl diese Threads eine aktive und partizipative Reaktion auf die Erkrankung zeigen, mussten die Wissenschaftler doch überrascht feststellen, wie zurückhaltend die Forumnutzer in dem Punkt waren, die Realität der Situation auch ausdrücklich anzusprechen. "Am meisten verwunderte uns, dass im Forum unter den Teilnehmern ein sehr zurückhaltender Sprachstil vorherrschte. Außerdem benutzte man das Wort 'Krebs' so gut wie gar nicht", erklärt Dr. Huber. "Uns kam es fast wie ein Tabu vor. Wir waren auch erstaunt darüber, dass man Umgangssprache eher vermied und medizinische Fachausdrücke wie 'Prostatakarzinom' und 'positive Biopsieergebnisse' bevorzugte, die außerordentlich verbreitet waren." Die Studie hat auch Auswirkungen auf die Entwicklung herkömmlicher Selbsthilfegruppen. Es scheint für die Menschen einfacher zu sein, sich in einer virtuellen Umgebung zu der emotionalen Seite der von ihnen benötigten Unterstützung zu äußern, und die Autoren der Untersuchung empfehlen daher, dass übliche Selbsthilfegruppen dieses Element in ihre Programme einbinden sollten. "Die Patienten erhalten ohne die Notwendigkeit des direkten, persönlichen Kontakts auf einfache Weise Informationen, Beratung und emotionale Unterstützung. Emotionale Unterstützung wird angeboten - egal ob darum gebeten wurde oder nicht - und der Kontakt ist breit angelegt und bezieht sich nicht nur auf Fakten und Zahlen", fasst Dr. Huber zusammen. "Die soziale Interaktion über das Internet ist ein Erfolg und scheint ein fester Bestandteil des Umgangs mit Prostatakrebs sowie auch der Entscheidungsfindung zu sein. Und die Überwachung dieser gegenseitigen Beeinflussung ist eine gute Möglichkeit für Ärzte, ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse und Sorgen ihrer Patienten zu entwickeln." Das Team fand allerdings auch negative Auswirkungen der Hilfesuche bei fachlichen Laien - eine übliche Quelle der Kritik traditioneller Gruppen gegenüber den Online-Varianten. Die Botschaft lautet daher, dass sich beide Formen der Unterstützung einander ergänzen sollten. Nicht ganz ungefährlich: Obwohl das Forum eine Art lebendiges "Gespräch" mit vielen Stimmen zu sein scheint, stellte das Team bei genauerer Analyse fest, dass nur 5% der Nutzer für bis zu 70% aller Beiträge verantwortlich waren. Folglich prägt eine Handvoll von Leuten das allgemeine Meinungsbild. Angesichts dieser Statistik räumen die Autoren der Studie ein, dass für ein umfassenderes Verständnis der Auswirkungen von Onlineforen dieser Art mehr Forschung in die "Beobachter", die passiven Zuschauer, investiert werden müsste, die die Fragen und Antworten lesen, aber selber nichts beitragen.Weitere Informationen unter: Universität Heidelberg: http://www.uni-heidelberg.de(öffnet in neuem Fenster)

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