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Katastrophen auf See: wird die Regel "Frauen und Kinder zuerst" wirklich immer eingehalten?

Während zum 100. Jahrestag des Untergangs der Titanic weltweit Gedenkfeiern stattfinden, hat die Art und Weise, wie dieses Unglück in Geschichtsbüchern und Populärkultur dargestellt wird, unsere Auffassung davon geprägt, was sich bei einer Schiffskatastrophe abspielt. Nun beha...

Während zum 100. Jahrestag des Untergangs der Titanic weltweit Gedenkfeiern stattfinden, hat die Art und Weise, wie dieses Unglück in Geschichtsbüchern und Populärkultur dargestellt wird, unsere Auffassung davon geprägt, was sich bei einer Schiffskatastrophe abspielt. Nun behauptet ein schwedisches Wissenschaftlerteam, dass eine der weitverbreiteten Ansichten über Katastrophen auf See - dass nämlich Frauen und Kinder immer zuerst gerettet werden - eigentlich nur auf die Titanic zutrifft. Als die Titanic am 15. April 1912 während ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York im Nordatlantik mit einem Eisberg zusammenstieß, befahl der Kapitän den Männern, zurückzubleiben und Frauen und Kindern beim Besetzen der Rettungsboote den Vortritt zu lassen. Außerdem ordnete er an, jeden Mann, der sich diesem Befehl widersetzen sollte, zu erschießen. Daher konnten 70 % der Frauen und Kinder gerettet werden, jedoch nur 20 % der Männer, was der Titanic einen Platz in den Geschichtsbüchern als leuchtendes Beispiel für Ritterlichkeit auf See sicherte. Indessen schien die Titanic die Ausnahme von der Regel gewesen zu sein, wie die Untersuchungsergebnisse von zwei Wissenschaftlern der Universität Uppsala - Mikael Elinder und Oscar Erixson - zeigen. Mikael Elinder bemerkt dazu: "Normalerweise erwartet man von den Besatzungsmitgliedern, dass sie Passagiere retten, aber unsere Erkenntnisse machen deutlich, dass Kapitän und Besatzung höhere Überlebenschancen als Passagiere haben. Außerdem fanden wir heraus, dass Frauen und Kinder eher bereit sind zu sterben als Männer. Es scheint, als ob jeder sich selbst der Nächste ist. Die Evakuierung der Titanic war beispielhaft, hat aber auch den langlebigen Mythos genährt, dass bei Katastrophen Frauen und Kinder zuerst gerettet werden." Die beiden Wissenschaftler werteten eine Datenbank aus, die Informationen über Passagiere und Besatzungsmitglieder der größten Schiffsunglücke zwischen 1852 und 2011 enthält und deckten auf, dass bei der Mehrzahl der Schiffskatastrophen Frauen wesentlich geringere Überlebenschancen als Männer hatten. Kinder hatten die geringste Überlebenschance, während Kapitän und Besatzung am ehesten mit dem Leben davonkamen. Die Untersuchung ist eine der umfangreichsten jemals durchgeführten Analysen von Überlebensmustern bei Schiffsunglücken und basiert auf Daten zum Schicksal von über 15 000 Menschen. Frühere Untersuchungen befassten sich lediglich mit der Titanic sowie der RMS Lusitania, die 1915 vor der irischen Küste versenkt wurde. Doch obwohl die Titanic die Ausnahme blieb und "Jeder für sich selbst" eine treffende Beschreibung der üblicherweise folgenden Panik ist, mit der eine Schiffskatastrophe ihren Lauf nimmt, bleibt der Glaube, dass Frauen und Kinder im Ernstfall zuerst gerettet werden, im gemeinsamen Bewusstsein haften. Die Wissenschaftler entdeckten, dass bei den Schiffen, auf denen der Kapitän den Befehl "Frauen und Kinder zuerst" gab, der Unterschied zwischen den Überlebenschancen von Männern und Frauen nicht mehr so ausgeprägt war. Es überlebten jedoch nur dann mehr Frauen als Männer, wenn dieser Befehl mit Gewaltandrohung verbunden war. Das Forscherteam deutet an, dass es auf der Titanic nur aufgrund der strengen Befehle des Kapitäns ganz anders zuging. Die Untersuchung unterstreicht daher die wichtige Rolle, die Führungspersonen bei Katastrophen spielen. Den Wissenschaftlern zufolge ist es heutzutage für einen Kapitän ungewöhnlich, einen Befehl "à la Titanic" zu erteilen; wahrscheinlicher ist, dass ein Kapitän sein Schiff einfach im Stich lässt und sich noch vor den Passagieren rettet. Mikael Elinder fügt abschließend hinzu: "Auch wenn Schiffskatastrophen tragisch sind, so leisten sie doch einen Beitrag zu unserem Verständnis, wie sich Menschen verhalten, die extremen Belastungen ausgesetzt sind oder sich in Lebensgefahr befinden. Das viel diskutierte Verhalten des Kapitäns, der kürzlich mit der Costa Concordia auf Grund lief, ist daher bei Schiffsunfällen nicht als Ausnahme, sondern eher als die Regel zu betrachten."Weitere Informationen finden Sie unter: Universität Uppsala: http://www.uu.se/en

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