Bakterielle Verteidigungsmechanismen offenbaren Möglichkeiten für eine verbesserte personalisierte Medizin
Alle lebenden Organismen nutzen ihr Immunsystem, um die ständigen Angriffe durch Viren abzuwehren. Bakterien verwenden einen Teil ihrer Genome darauf, Virus-DNA-Fragmente zu speichern, wodurch eine Art Logbuch über potenzielle Eindringlinge entsteht. Wenn ein Virus seine DNA in die Bakterienzelle injiziert, erkennt das Immunsystem diese DNA und zerstört sie. Dieser Mechanismus wird als CRISPR-Immunität bezeichnet. Viren haben entsprechend wiederum mehrere Gegenmaßnahmen entwickelt. Manche exprimieren Anti-CRISPR-Proteine, welche die Funktion von CRISPR-Proteinen hemmen können. Wieder andere programmieren CRISPR-Proteine für eigene Zwecke um. Die genetischen und biochemischen Erkenntnisse, die aus der Entdeckung von CRISPR hervorgingen, haben die Entwicklung des revolutionären Gentechnik-Werkzeugs Cas9 ermöglicht. Doch was den Anpassungsmechanismus betrifft, der CRISPR zugrunde liegt, bestehen nach wie vor Wissenslücken. Das Projekt Anti-CRISPR, das im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen gefördert und am Institut für Bionanowissenschaften der TU Delft durchgeführt wird, möchte der Frage auf den Grund gehen, wie Bakterien diese „Virus-Logbücher“ aufbauen. Ihre Erkenntnisse könnten zur Entwicklung von Verfahren zur DNA-Aufzeichnung beitragen. „Beim Wettrüsten zwischen CRISPR-Systemen von Wirtsbakterien und Anti-CRISPR-Virengenen handelt es sich um Evolution in Aktion. Wenn es gelingt, diesen Vorgang zu erfassen, könnten gezieltere Behandlungen möglich werden, zum Beispiel gegen Infektionen wie COVID-19 und die Grippe“, erklärt Forschungsleiter Sungchul Kim. Die Arbeit des Projekts wurde bereits in der Fachzeitschrift „Nature“ vorgestellt.
Das Wettrüsten zwischen Wirt und Virus im Fokus
Der molekulare Prozess der adaptiven Immunität durch CRISPR umfasst im Wesentlichen drei Phasen. Die erste Phase ist die Adaption, auch als Spacer-Akquisition bezeichnet (Spacer: „Abstandshalter“). Dabei speichern die Bakterien Informationen über Viren in einer CRISPR-Anordnung, die man sich als eine Art Logbuch vorstellen kann. In der zweiten (Expression) und dritten Phase (Interferenz) werden CRISPR/Cas-Proteine gebildet, die das Virus zerstören. Das Team wollte zunächst herausfinden, wie die beteiligten CRISPR-Proteine Cas1 und Cas2 geeignete virale DNA-Fragmente, sogenannte Prespacer, auswählen, um zwischen eigener und fremder DNA zu unterscheiden. Im zweiten Schritt untersuchten die Forschenden, wie diese Prespacer dann auf ganz bestimmte Längen gekürzt werden, um ihre Integration in das CRISPR-Array zu ermöglichen. Die Interaktionen zwischen den Cas1-Cas2-Proteinen und viralen DNA-Fragmenten wurden durch Echtzeit-Bildgebung mithilfe der sogenannten Einzelmolekülfluoreszenz mit einer Auflösung im Nanomaßstab dargestellt. Das Team stellte fest, dass der C-Terminus von Cas1-Cas2 für die Differenzierung zwischen Eigen- und Fremd-DNA entscheidend ist. Außerdem fand es heraus, dass die DNA-Polymerase III das Enzym ist, das für das Schneiden von Prespacern zuständig ist. Dieses Enzym spielt bekanntlich auch eine Rolle bei der Korrektur von Fehlern bei der DNA-Replikation. „Wir waren überrascht, dass ein DNA-synthetisierendes Enzym an Abwehrmechanismen beteiligt ist. Daraus lässt sich schließen, dass viele biologische Maschinen von der Evolution auf mehrere Prozesse ausgerichtet wurden“, so Kim. Das Team konnte außerdem zeigen, dass das sogenannte Protospacer Adjacent Motif – also die Bindung des C-Terminus von Cas1-Cas2 an die virale DNA-Signatur – es den Bakterien ermöglicht, virale DNA-Fragmente in ihrem CRISPR-Logbuch zu speichern. „Dieses Logbuch auf dem neuesten Stand zu halten, ist absolut entscheidend im Kampf gegen Viren, die ihre DNA mutieren, um die Immunität auszutricksen“, fügt Kim hinzu.
Systeme zur Aufzeichnung von DNA
Die Erkenntnisse des Projekts werden einen wertvollen Beitrag dazu leisten, neue Verfahren zur DNA-Aufzeichnung in lebenden Zellen zu entwickeln. „Systeme zur zeitlich auflösenden DNA-Aufzeichnung in Säugetierzellen, einschließlich des Menschen, erwiesen sich als nicht erfolgreich. Durch unsere Ergebnisse lässt sich besser skizzieren, wie DNA-Sequenzen und -Architekturen aussehen müssen, um ein System zu schaffen, das Informationen über Zellprozesse automatisch in der DNA der entsprechenden Zelle speichern kann“, so der Hauptforscher des Projekts, Chirlmin Joo. Da die Cas1- und Cas2-Proteine Informationen in chronologischer Reihenfolge speichern, könnten Erkrankungen oder Infektionen dann zurückprogrammiert werden. So könnten Ärztinnen und Ärzte beispielsweise anhand von respiratorischen Epithelzellen das „biologische Logbuch“ der Zellen aufrufen, um festzustellen, wie sich das infizierte Gewebe, beispielsweise bei COVID-19 oder Grippe, entwickelt hat. Diese diagnostischen Daten können sie dann zur Erstellung maßgeschneiderter Behandlungspläne heranziehen.
Schlüsselbegriffe
Anti-CRISPR, Genom, Virus, Bakterien, Protein, Cas9, Cas1, Cas2, DNA, immun, personalisierte Medizin, COVID-19, Grippe, Infektion