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Doing Intimacy: A Multi-sited Ethnography of Modern Chinese Family Life

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Eine neuartige Betrachtung moderner chinesischer Familien und Geschlechterrollen

Die Vorstellungen von Familie und des sozialen Geschlechts sind oft eng miteinander verwoben. Während der Zusammenhang zwischen diesen beiden Konzepten in westlichen Gesellschaften intensiv erforscht wurde, macht sich eine vom europäischen Forschungsrat geförderte Forscherin gerade an die erste umfassende Studie der Familienbräuchen in China, Taiwan und Hongkong. Die Arbeit führt zu faszinierenden Einblicken zu den Themen soziales Geschlecht, eheliche Beziehungen und generationenübergreifende Dynamiken.

Gesellschaft icon Gesellschaft

Die konfuzianische Ideologie stellte über 2 000 Jahre lang das Leitbild der familiären Beziehungen in China dar. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie jedoch zunehmend infrage gestellt, da die Einstellung die Oberhand gewann, dass das strenge Korsett hierarchischer Familienstrukturen Fortschritte der Gesellschaft als Ganzes ausbremste. Die Folge waren eine Reihe politischer und sozialer Kampagnen, um die Struktur des chinesischen Familienlebens zu reformieren. Das Projekt Intimacy (Doing Intimacy: A Multi-sited Ethnography of Modern Chinese Family Life) unter der Führung von Jieyu Liu, stellvertretende Direktorin des SOAS China Institute an der School of Oriental and African Studies (SOAS) University of London betrachtet das Thema des modernen chinesischen Familienlebens aus einem unkonventionellen Blickwinkel. Intimacy nahm die Familie als einen Prozess von Bräuchen und Erfahrungen wahr und löste sich so von den sonst üblichen starren Analysen von Familienstrukturen, um stattdessen die Qualität der Beziehungen in den Mittelpunkt der Forschung zu rücken. Liu konzentrierte sich auf den von ihr geprägten Begriff: „doing intimacy“ (Intimität leben). „Kurz gesagt betrachtet das Projekt chinesische gelebte Familiendynamiken auf genauere, unverbrauchtere und kritische Weise“, so Liu. „So dokumentierte es bedeutende Unterschiede zwischen den Generationen in verschiedenen Aspekten des chinesischen Familienlebens, sei es bei den Beziehungen zwischen Kindern und Eltern, der Partnersuche und dem Umwerben vor der Hochzeit, den Beziehungen zwischen den Geschlechtern, den sexuellen Beziehungen oder dem Altern und dem späteren Leben.“

Eine genaue Betrachtung des Konzepts der „gelebten Intimität“

Um den Fokus auf die Bräuche der Intimität, Gefühle und Handlungsmacht zu richten, untersuchte Intimacy die Erfahrungen von Frauen in den Familien, in die sie hineingeboren wurden, über drei Generationen hinweg. Wie Liu erklärt haben verheiratete Töchter oft innige Beziehungen zu ihren Eltern, trotz der patrilinearen und patrilokalen kulturellen Traditionen. Bei einer patrilinearen Struktur werden die Beziehungen innerhalb der Familie entsprechend der Abstammungslinien von männlichen Vorfahren organisiert; eine patrilokale Struktur bedeutet, dass die Familie sich in der Nähe oder sogar unter demselben Dach wie die Verwandtschaft des Ehemannes niederlässt. „Frauen haben eine aktive Rolle in der Stärkung der Bindungen an ihre gebürtige Familien übernommen, was allmählich zu Änderungen an der traditionellen kulturellen Vorliebe für Söhne und patrilokale Bräuche geführt hat. Tatsächlich könnten diese Entwicklungen auf lange Sicht sogar die patrilineare Kultur in der chinesischen Gesellschaft infrage stellen.“

Sich wandelnde Geschlechterverhältnisse in modernen chinesischen Gesellschaften

Oberflächlich betrachtet scheinen moderne chinesische Gesellschaften größtenteils dieselben Geschlechterrollen und -aktivitäten entwickelt zu haben, wie westliche Gesellschaften. Beispielsweise decken sich die Erfahrungen vieler junger Chinesinnen und Chinesen bei der Partnersuche und mit der Kernfamilie mit denen ihrer Altersgenossinnen und -genossen im Westen. „Allerdings deutet meine Forschung darauf hin, dass die Verflechtung zwischen der ehelichen Familie und der weiteren Verwandtschaft bestehen bleibt und dass sich diese Beziehungen angesichts wirtschaftlicher und sozialstaatlicher Unwägbarkeiten sogar intensivieren“, fügt Liu hinzu. Es gab ebenfalls einen Ruck in Richtung affektiverer und kommunikativerer ehelicher Beziehungen in der jüngeren Generation chinesischer Paare. „Dieser Trend geht Hand in Hand mit dem älteren kulturellen Ideal, dass der Bräutigam erhebliche materielle Güter in die Ehe zu bringen hat“, fährt Liu fort. „Das traditionelle chinesische patrilokale Familienmodell wurde der aktuellen modernen Ära angepasst – während Frischverheiratete in der Vergangenheit zunächst bei den Eltern des Ehemanns wohnten, ist es heutzutage wahrscheinlicher, dass sie alleine leben. Es besteht jedoch nach wie vor die gesellschaftliche Norm und Erwartung, dass der Ehemann die Verantwortung für den Kauf der ehelichen Wohnung übernimmt.“

Eine bevorstehende regionale Analyse

Ab Januar 2021 wird Liu eine der wichtigsten letzten Phasen des Projekts einleiten – eine Analyse der regionalen Unterschiede zwischen der Volksrepublik China, Hongkong und Taiwan. Auch befinden sich zwei Forschungsmonografien in Arbeit. Und was ist das allgemeinere Vermächtnis des Projekts? „Da Angelegenheiten, die Gefühle, Sex und Intimität betreffen, sehr private Aspekte des menschlichen Lebens sind, gibt es kaum Studien dieser Art. Die Ergebnisse dieses Projekts werden von großem Wert für Familienstudien auf der ganzen Welt sein“, schließt Liu.

Schlüsselbegriffe

Intimität, soziales Geschlecht, China, patrilinear, patrilokal, Kind-Eltern-Beziehungen

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