Die Verbindung zwischen Wahrnehmungen, Verhalten und Entscheidungen: Der Fall internationaler Richterinnen und Richter
Der Internationale Strafgerichtshof(öffnet in neuem Fenster) (IStGH) besteht aus 18 Richterinnen und Richtern, die von der Versammlung der Vertragsstaaten des Römischen Statuts für eine Amtszeit von neun Jahren gewählt werden. Im Lauf der Jahre haben die Entscheidungen des Gerichts und ihre Begründungen viel wissenschaftliches Interesse auf sich gezogen. Das EU-finanzierte Projekt INCRICO(öffnet in neuem Fenster), das im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen(öffnet in neuem Fenster) unterstützt wurde, trägt zur Literatur in diesem Bereich bei, indem es analysierte, wie die Richterinnen und Richter des Internationalen Strafgerichtshofs die Rolle der internationalen strafrechtlichen richterlichen Funktion sehen und erleben und wie sich dies wiederum in der Praxis und den Entscheidungen des Gerichts niederschlägt. „Vor diesem Hintergrund betrachtete das Projekt die inneren (beratenden) Vorgänge des Gerichts und analysierte das Entwurfsverfahren und die Funktion(en), die die Richterinnen und Richter am Internationalen Strafgerichtshof ihrer Arbeit zuschreiben, einschließlich der Verwendung eines Systems getrennter und abweichender Stellungnahmen“, erklärt Gregor Maucec, der Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiat. Zu diesem Zweck wurde ein neuartiger Ansatz erarbeitet, bei dem im Mittelpunkt stand, wie die Richterinnen und Richter am Internationalen Strafgerichtshof ihre Rollen wahrnehmen, auf denen ihre Entscheidungen und Vorgehensweisen beruhen. „Eine wesentliche Neuerung dieser Analyse besteht darin, die richterliche Funktion des Internationalen Strafgerichtshofs aus der Perspektive der internen bzw. externen Dimension der Rechtspraxis zu betrachten“, fügt Maucec hinzu. Dabei handelt es sich um eine bedeutende Wende in der aktuellen Wissenschaft, die sich bisher nicht genauer damit befasste, wie der Internationale Strafgerichtshof als Institution intern von seinen Richterinnen und Richtern gesehen wird.
Die Realität am Internationalen Strafgerichtshof
„Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass die Wahrnehmung der Rechtssprechenden am Internationalen Strafgerichtshof ihrer Verantwortung weit darüber hinaus geht, bestehende, anerkannte Regeln bzw. Prinzipien des Gesetzes auf die Sachen anzuwenden, die sie anhören“, hebt Maucec hervor. Tatsächlich sehen die Richterinnen und Richter am Internationalen Strafgerichtshof auch weitere Ziele als Teil seiner richterlichen Funktion, darunter die Tatsachenfeststellung, die Streitbeilegung, die Gesetzgebung, die Verwaltung von Fällen und die Governance. „Zu einem geringeren Grad umfasst dieses erweiterte Verständnis der richterlichen Funktion des Gerichtshofs auch bestimmte soziale Funktionen, wie den Schutz der Interessen und Werte der internationalen Gemeinschaft“, fügt Maucec hinzu. Die Ergebnisse werden 2022 in einer Monografie mit dem Titel „Der Internationale Strafgerichtshof und seine richterliche Funktion: Eine Studie richterlicher Wahrnehmungen und Praktiken“ (The International Criminal Court and the Judicial Function: A Study of Judicial Perceptions and Practices). Das Projekt hat außerdem erste Ergebnisse in mehreren Artikeln in Peer-Review-Fachzeitschriften sowie in Beiträgen zu Sammelbänden veröffentlicht. Es ermöglichte Maucec auch gemeinsam mit Shai Dothan, einem außerordentlichen Professor an der Universität Kopenhagen, hochrangige internationale (virtuelle) Konferenzen auszurichten, die sich damit befassten, wie sich die persönlichen Eigenschaften internationaler Rechtssprechender auf ihr Verhalten, ihre Arbeit und ihre Entscheidungen an internationalen Gerichten auswirken.
Wirkungsvolle Ergebnisse
INCRICO stellte neues Wissen und frische Einblicke in die Theorie und Praxis der internationalen strafrechtlichen Rechtssprechung bereit. „Langfristig könnte die Arbeit meines Projektes dazu führen, das Ansehen internationaler Gerichte in einer Ära des Populismus und des Widerstands gegen internationale Organisationen zu erhöhen. Infolgedessen könnte es auch weitverbreitete Vorurteile gegen internationale Strafgerichte und Tribunale ausräumen“, merkt Maucec an. Mit Blick auf die Zukunft arbeitet Maucec an einem Buch als abschließendes Ergebnis des Projekts, das eine systematische, umfassende und differenzierte Betrachtung der richterlichen Funktion des Gerichts bieten soll. „Im Laufe dieses Projekts erhielt ich unschätzbare Denkanstöße und Inspiration für den Teil meines nächsten Projekts, der sich auf die Rolle der Intuition als persönliche Eigenschaft und psychologisches Phänomen bei der internationalen strafrechtlichen Entscheidungsfindung konzentriert“, so Maucec abschließend.