Signale der Sicht entschlüsseln
Die Netzhaut ist eine dünne Schicht aus Nervengewebe im hinteren Teil des Auges. Sie beinhaltet eine Schicht spezialisierter Zellen namens Photorezeptoren, die einfallendes Licht einfangen, in elektrische Signale umwandeln und sie durch ein komplexes Netzwerk an Neuronen transportieren, das auch bipolare und Ganglienzellen umfasst. Diese Zellen verfeinern und verstärken die Signale, bevor sie über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet werden. Dennoch sind noch immer viele Aspekte unserer Sicht unklar, zum Beispiel, wie diese elektrischen Signale visuelle Informationen natürlicher Szenen mit Objekten der realen Welt, Bewegung und Veränderungen der Lichtverhältnisse repräsentieren.
Einblicke in den neuronalen Schaltkreis der Netzhaut
Das Projekt CODE4VISION(öffnet in neuem Fenster) wurde über den Europäischen Forschungsrat finanziert und verfolgte hauptsächlich das Ziel, die Verarbeitung visueller Signale besser zu verstehen und Behandlungsansätze für Erkrankungen der Netzhaut zu erarbeiten. Die Forschenden verwendeten dafür eine neue Methode zur Aufzeichnung der neuronalen Signale in Netzhautzellen sowie ein leistungsstarkes Verfahren zur Datenanalyse. So konnte ein wichtiger Aspekt des Schaltkreises in der Netzhaut visualisiert werden: der Aufbau der Verbindungen zwischen der Schicht an Ausgabeneuronen in der Netzhaut und der vorhergehenden Schicht erregender Reize. Anhand dieser neuen Erkenntnisse zu den Verbindungen in der Netzhaut wurde ein neues mathematisches Modell(öffnet in neuem Fenster) ausgestaltet, das beschreibt, wie die Netzhaut natürliche visuelle Szenen codiert. „Wir können jetzt besser beschreiben, warum die einzelnen Typen der Ausgabeneuronen in der Netzhaut unterschiedlich auf die gleiche Szene reagieren und welche Rolle sie im Gesamtkonzept der Sicht einnehmen“, erklärt der Hauptforscher Tim Gollisch.
Behandlung von Erkrankungen der Netzhaut
Retinitis Pigmentosa(öffnet in neuem Fenster) ist eine Augenkrankheit, bei der die Photorezeptoren zerfallen. Weltweit sind Millionen Menschen betroffen, doch es gibt kein Heilmittel, sodass der Wiederherstellung der Sicht viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Eine vielversprechende Strategie ist das Einführen lichtempfindlicher Proteine in überlebende Netzhautneuronen, um sie in künstliche Lichtsensoren zu verwandeln. Dieser Ansatz fällt in den Bereich der Optogenetik. Es gibt Anzeichen, dass das normale Umgebungslicht in diesen künstlichen Lichtsensoren nicht zu den richtigen Reaktionen führt. Daher haben die Forschenden von CODE4Vision die Vorrichtung zur visuellen Stimulation so kalibriert, dass die erforderliche Helligkeit erreicht wird, die implantierten Lichtsensoren in der Netzhaut anzuregen. Anhand der Analyse und mathematischen Modelle von CODE4Vision konnten die Forschenden die Modifikationen für die Projektion verfeinern und letztendlich eine optimierte Anwendung der optogenetischen Behandlung von Retinitis Pigmentosa hervorbringen. Diese wurde in einem Mäusemodell validiert, das verbesserte Reaktionen auf die künstliche Stimulation aufwies. „Wir hoffen, dass das Gehirn die visuelle Szene besser verarbeiten kann, wenn die künstliche Stimulierung der Netzhaut natürlicher ist, und das visuelle Empfinden so besser wiederhergestellt werden kann“, betont Gollisch.
Die Zukunft der Behandlungen zur Wiederherstellung der Sicht
Insgesamt hat CODE4Vision unser Verständnis darüber vertieft, wie der neuronale Schaltkreis der Netzhaut funktioniert und natürliche visuelle Szenen verarbeitet. „Die Forschung zur Codierung natürlicher Reize in der Netzhaut muss noch weitergeführt werden, und wir planen, unser Modell stetig zu aktualisieren und auszuweiten“, berichtet Gollisch. Das Team will auch untersuchen, wie Kontextinformationen wie die durchschnittliche Lichtintensität oder der Kontrast in der aktuellen Umgebung sich auf diese Codierung auswirken. Um die Behandlung durch künstliche Stimulation weiter auszubessern, werden sie auch unterschiedliche Typen lichtempfindlicher Moleküle testen, um die besten Kandidaten für kommende klinische Anwendungen zu bestimmen.
Schlüsselbegriffe
CODE4Vision, Netzhaut, Neuronen, künstlicher Lichtsensor, Photorezeptoren, Ganglienzellen, Retinitis Pigmentosa, Wiederherstellung der Sicht