Naturnahe Aufbereitung von brackigem Grundwasser in Indien
Über 2 Milliarden Menschen haben immer noch keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Der trockene indische Bundesstaat Gujarat leidet unter akuter Wasserknappheit, da es nur wenig Oberflächenwasser gibt und das Grundwasser aufgrund der Wasserentnahme und des steigenden Meeresspiegels zunehmend versalzt. Die Entsalzungstechnologie könnte das Salz aus diesen Grundwasserquellen entfernen, aber die bestehenden Verfahren sind energieintensiv, kostspielig und umweltschädlich. Darauf reagierend hat INDIA-H2O ein vielversprechendes, von der Natur inspiriertes Wasseraufbereitungssystem entwickelt, das mit erneuerbarer Energie betrieben wird. Dieses Projekt wird von der EU und dem indischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie kofinanziert. „Unsere Wasseraufbereitungstechnologie, die sogenannte Hybrid-Batch-Umkehrosmose, bietet den Vorteil, dass sie wenig Energie verbraucht und gleichzeitig 95 % des verunreinigten Wassers in sauberes Wasser umwandelt“, sagt Philip Davies, Professor für Wassertechnologie an der Universität Birmingham und Projektkoordinator von INDIA-H2O.
Die Natur imitierende Technologien
Die Osmose ist ein natürlicher Prozess, bei dem Wassermoleküle eine halbdurchlässige Membran durchqueren, und ist zu beobachten, wenn Wassermoleküle in Pflanzen- und Tierzellen ein- und auswandern. Besonders wichtig ist dabei, dass diese Membranen eine Barriere für andere Moleküle und Partikel (gelöste Stoffe) im Wasser darstellen. INDIA-H2O erforschte die Wasseraufbereitung mit hybrider Vorwärts- und Umkehrosmose auf der Grundlage biomimetischer Membrantechnologie, bei der neuartige biologische Proteine zum Transport von sauberem Wasser durch die Membran eingesetzt werden. Die Vorwärtsosmose ahmt nach, wie Wasser in die Zellen eingesaugt wird. Die Umkehrosmose nutzt Druck, um das Wasser durchzudrücken. Das Umkehrosmoseverfahren von INDIA-H2O ist so konzipiert, dass die Energie, um das Wasser unter Druck zu setzen, wiederverwendet wird. Es kann fast das gesamte Salz aus dem Wasser entfernen, ohne dass große Mengen an Abwässern anfallen, wie es bei anderen Entsalzungsverfahren der Fall ist. „Der erforderliche Druck verbraucht in der Regel mindestens 1 kWh Strom für 1 000 Liter Trinkwasser“, so Davies. „Unsere Konstruktion, die mit einem Druckaustauschkolben ausgestattet ist, halbiert dies.“ Die Lösung von INDIA-H2O kann zudem neu auftretende Schadstoffe (z. B. Agrarchemikalien) entfernen und hochwertige Abwasserreagenzien, die bei industriellen Prozessen anfallen, wie z. B. Textilfarbstoffe, zurückgewinnen. Da diese Wasseraufbereitungsverfahren intermittierend betrieben werden können, sind erneuerbare Energien eine ideale Energiequelle. „Gujarat ist nicht nur trocken, sondern auch sonnig, wodurch Solarenergie eine offensichtlich gute Wahl darstellt“, sagt Anurag Mudgal von der Pandit Deendayal Energy University (PDEU) in Gandhinagar, Gujarat. „Durch seine kompakte Bauweise eignet sich das System für ländliche Gemeinden, deren Lebensgrundlagen durch den Klimawandel bedroht sind.“
Es braucht ein ganzes Dorf
Der Ansatz von INDIA-H2O wird jetzt in dem Dorf Lodhva in Guajarati erprobt, wo derzeit rund 800 Liter sauberes Wasser pro Stunde erzeugt werden. Die Technologie wurde in einer örtlichen Schule zur Sicherung der gesamten Trinkwasserversorgung sowie an der PDEU zur Erprobung der Gewinnung von sauberem Trinkwasser aus brackigem Grundwasser in kleinem Maßstab installiert. „Wir freuen uns besonders auf die Entwicklung dieser für den ländlichen Raum relevanten Systeme. Sie können 7 bis 10 Kubikmeter sauberes Trinkwasser pro Tag allein mit Solarenergie oder bis zu 20 Kubikmeter mit Netzstrom produzieren. Mit einem Preis von weniger als 30 Rupien pro Kubikmeter, etwa 0,35 Euro, sind sie ein echter Rettungsanker für die Gemeinden“, fügt Mudgal hinzu. Es ist geplant, die Leistungsfähigkeit dieser Dorfsysteme zu erweitern, um die Rückgewinnung von sauberem Wasser aus den Abwässern der ländlichen Haushalte zu bewerkstelligen. INDIA-H2O erprobt außerdem den Anbau von Queller, einer salztoleranten Speisepflanze, die als Nebenprodukt bei der Entsalzung anfällt, um das Potenzial dieses Ansatzes für die Kreislaufwirtschaft zu demonstrieren. Neben der Finanzierung weiterer Anlagen durch die Gemeinde werden derzeit ebenso Möglichkeiten der Vermarktung geprüft, um dem Dorf eine neue Einnahmequelle zu erschließen. Um die Nachhaltigkeit und Skalierbarkeit dieser Demonstrationssysteme vor Ort zu gewährleisten, wurde ihre Konzeption gemeinsam mit indischen Herstellern ausgearbeitet, die auch die speziellen Membranen bereitstellen.
Ein günstiges Umfeld schaffen
Im Jahr 2022 wurde an der PDEU ein Exzellenzzentrum für Wasseraufbereitung und Wasserbewirtschaftung eröffnet, das modernste Einrichtungen zur Erprobung von Wasseraufbereitungslösungen bietet. Nach zwei erfolgreichen internationalen Wasserwirtschaftskonferenzen, die an der PDEU stattfanden, ist für 2024 eine dritte geplant. Die Universität Birmingham hat eine Lizenz für die Hybrid-Batch-Umkehrosmose-Technologie an das Spin-off-Unternehmen Salinity Solutions vergeben und damit mehr als 1,4 Mio. EUR eingenommen. Das Unternehmen hat bereits eine Vereinbarung mit dem britischen Unternehmen Te-Tech Process Solutions getroffen, um mit der Produktion maßgeschneiderter Wasseraufbereitungslösungen zu beginnen. Inzwischen nutzen auch die Projektpartner die Technologie. Das indische Central Electronics Engineering Research Institute vermarktet derzeit die im Rahmen des Projekts entwickelten Sensor- und Überwachungstechnologien. Aquaporin in Dänemark, Entwickler der biomimetischen Vorwärtsosmose-Membrantechnologie, wurde an der Nasdaq Kopenhagen notiert und nahm 38 Mio. EUR auf.
Schlüsselbegriffe
NDIA-H2O, Wasser, Indien, Gujarat, Entsalzung, Salz, Membran, Osmose, Queller, Sole, Solarenergie