Die Genetik der Pflanzenwurzelendodermis enträtseln
Bei lebenden Organismen ist alles unterteilt, angefangen bei den Organen bis hinunter in die Zellebene. Dinge wie die Trennung von Nährstoffen und die Lenkung ihrer Ausbreitung sind für das reibungslose biologische Funktionieren entscheidend wichtig. Pflanzenwurzeln sind durch eine zylindrische Begrenzung, die sogenannte Endodermis, unterteilt. Casparische Streifen sind eine Zellstruktur innerhalb der Endodermis, die den Fluss der Nährstoffe in den zentralen Teil der Wurzeln lenkt. Mutanten, die diese Barriere nicht bilden können, weisen ein verkümmertes Wachstum auf und haben Schwierigkeiten, mit stressigen Umweltbedingungen zurechtzukommen. Daher ist es sowohl von einem grundsätzlichen als auch einem praktischen Standpunkt aus von Vorteil zu verstehen, auf welche Weise Pflanzen die Casparischen Streifen entwickeln. „Die Entschlüsselung der hinter ihrer Bildung stehenden molekularen Mechanismen kann unser allgemeines Wissen über das Pflanzenwachstum erweitern“, sagt Anaxi Houbaert, promovierter Forscher am Fachbereich Molekularbiologie der Pflanzen an der Universität Lausanne(öffnet in neuem Fenster) und leitender Forscher des Projekts Wall-E. „Anhand der Identifizierung aller an der Entwicklung der Casparischen Streifen beteiligten Proteine wäre es auch vorstellbar, Nutzpflanzen gentechnisch derart zu verändern, dass sie widerstandsfähiger gegenüber stressigen Umgebungen sind.“ In den letzten zehn Jahren waren erhebliche Fortschritte bei der Identifizierung der Proteine zu verzeichnen, die für die Bildung der Casparischen Streifen benötigt werden, obwohl die zugrunde liegende Genetik komplex ist: Mehrere Gene weisen die gleiche Funktion auf, und einige Gene haben mehrere Funktionen. Im Rahmen des Projekts Wall-E, das innerhalb der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen(öffnet in neuem Fenster) finanziert wurde, leitete Houbaert ein Team, das ein innovatives Screening-Verfahren entwickelte, um dieses genetische Geheimnis zu lüften, indem der Konstruktionsprozess der Casparischen Streifen von Grund auf neu aufgebaut wurde.
Die richtigen Gene mithilfe eines Hauptregulators finden
Um den minimal ausreichenden Gensatz zu definieren, konzentrierten sich Houbaert und sein Team auf einen Transkriptionsfaktor (der die Genaktivität regelt), der als myb36 bekannt ist und Gene reguliert, die für die Bildung der Casparischen Streifen maßgeblich sind. „Myb36 ist ein Hauptregulator, ohne den kein Casparischer Streifen gebildet werden kann“, erklärt Houbaert. Bei mutierten Pflanzen, bei denen myb36 deaktiviert ist, funktionieren etwa 150 Gene nicht mehr, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass alle 150 Gene für den Aufbau der Streifen verantwortlich sind. Daher grenzte das Team zunächst die Liste der zu untersuchenden Gene auf der Grundlage von Vorwissen, Vorhersagen und vernünftigen Annahmen ein. Dabei kam eine Liste von 60 Kandidatengenen zusammen. Die Forschenden transformierten dann die myb36-Mutante, sodass fünf zuvor charakterisierte Gene exprimiert werden konnten, die für die Bildung von Casparischen Streifen entscheidend wichtig sind. Aber selbst wenn diese fünf Schlüsselgene exprimiert wurden, konnte die Pflanze immer noch keine Casparischen Streifen bilden. Nun plant das Team, die CRISPR-Genaktivierungstechnologie (CRISPRa) einzusetzen, um aus der Liste der 60 Kandidaten diejenigen Gene herauszufiltern, die die Streifenbildung verbessern.
Fortschritt bei gentechnischen Verfahren
Im Zuge des Projekts Wall-E wurde mit Erfolg der Einsatz von CRISPR zur Koaktivierung mehrerer Gene demonstriert, die an demselben genetischen Kreislauf beteiligt sind. Das neue Screening-Verfahren könnte gleichermaßen bei anderen Organismen angewandt werden. „Die Genetik umzukrempeln, indem versucht wird, eine Struktur mithilfe eines Rekonstitutionsscreens von Grund auf neu aufzubauen, stellt ein leistungsfähiges Instrument zur Entdeckung neuer Genfunktionen dar“, bekräftigt Houbaert. Es könne zudem Lücken in unserem Verständnis eines molekularen Signalwegs aufzeigen, fügt er hinzu. Wenn die Aktivierung bestimmter Gene in einem Signalweg nicht zur Wiederherstellung einer Funktion führt, zeige dies, dass auch andere Gene wichtig seien. „Dieser Ansatz könnte auf jeden beliebigen Signalweg und verschiedene Modellorganismen angewandt werden, denn es hat sich erwiesen, dass CRISPR-Aktivierungssysteme sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen gut funktionieren“, merkt Houbaert an. „Die einzige Voraussetzung ist Vorwissen über einen bestimmten Signalweg, um Kandidatengene auswählen zu können.“