Haben Forschende eine zu hohe Meinung von sich selbst?
Menschen neigen dazu, sich selbst und ihre Gruppe positiv zu betrachten. Das kann die objektive Selbsteinschätzung und die Zusammenarbeit mit anderen behindern. Nach Ergebnissen, die in „Scientific Reports“ veröffentlicht wurden, überschätzen Forschende ihr Engagement für verantwortungsvolle Forschung im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen über die Maße.
Wie selbstgerecht!
„Der Ausgangspunkt des Projekts war, dass in der Forschungswelt eine gewisse Krise herrscht. Bei vielen Studien wurde Fehlverhalten aufgedeckt oder es war schwierig, die Forschungsergebnis zu replizieren. Die Glaubwürdigkeit ist ins Wanken geraten“, kommentierte Gustav Tinghög, Wirtschaftsprofessor an der Fakultät für Management und Ingenieurwesen an der Universität Linköping in Schweden, in einer Pressemitteilung. „Scheinbar betrachten fast alle Forschenden sich selbst als genauso gut wie der Durchschnitt oder sogar besser, was statistisch unmöglich ist“, fährt er fort. „Wenn alle sich selbst objektiv betrachteten, würde sich eine gleichmäßige Verteilung um die Mitte herum ergeben.“ Ein Team an der schwedischen Universität wertete Antworten von über 11 000 schwedischen Forschenden aus. Der Fragebogen wurde an den Vorschriften des schwedischen Forschungsrats zu verantwortungsvoller Forschung ausgerichtet.
Blinder Fleck im Hinblick auf mangelnde ethische Prinzipien
Aus der Analyse ging hervor, dass die meisten Forschenden sich selbst als moralisch überlegen sehen, und das nicht nur als Einzelperson, sondern für gesamte Forschungsbereiche. Diese Voreingenommenheit zeigte sich besonders in der medizinischen Forschung. Sie dient als Warnsignal für disziplinübergreifende Teamarbeit. Konkret sind mehr als 55 % der Forschenden der Meinung, dass sie gute Arbeitspraktiken genauso gut oder besser einhalten als ihre Kolleginnen und Kollegen. Fast 63 % bewerteten die ethischen Standards in ihrem Forschungsbereich als hoch oder höher als in anderen. In der Medizin fiel die Überschätzung am höchsten aus. „Forschende stehen jeden Tag vor dem Dilemma: Sollte ich tun, was mir nützt, oder sollte ich tun, was der Wissenschaft nützt? In so einer Welt ist es wichtig, stets selbst zu reflektieren und den eigenen moralischen Forschungskompass auszurichten“, schließt Prof. Tinghög.
Schlüsselbegriffe
Forschende, Forschung, Forschungspraxis, ethisches Verhalten, Selbsteinschätzung, ethischer Standard, Überschätzung