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ODEUROPA: Negotiating Olfactory and Sensory Experiences in Cultural Heritage Practice and Research

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Der Geruchssinn: Ein Tor zur kollektiven Vergangenheit

Der Geruch: flüchtig, aber sehr einprägsam. Wir können Artefakte der Vergangenheit sehen, alte Musik hören und Exponate anfassen, doch lange Zeit wurde das Wahrnehmungselement mit der größten Wirkung vernachlässigt: der Geruch.

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Gerüche können uns in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzen. Das geschieht direkt und instinktiv, ohne Denkprozesse. Gerüche können beruhigend oder verstörend wirken. Sie können vor Risiken warnen oder Trost spenden. Doch flüchtige Gerüche sind besonders schwierig einzuordnen, wenn es sich um Gerüche aus der Vergangenheit handelt: Die längst vergangenen historischen Düfte, aus denen kulturelle Praktiken, religiöse Rituale, medizinische Behandlungen und soziale Kommunikation entstanden sind. Wie kann also das Wissen zu Gerüchen der Vergangenheit ausgebaut werden? Ist es möglich, einige der Gerüche nachzubilden und als neue Dimension der Erfahrung in Kulturdenkmälern, Museen, Archiven und anderen Umgebungen darzubieten? Mittels künstlicher Intelligenz und neuen Rechnerkapazitäten werden im Projekt ODEUROPA historische Gerüche bestimmt und aufgezeichnet und wieder zum Leben erweckt. Die Projektkoordinatorin Inger Leemans von der Königlichen Akademie der Künste und Wissenschaften Niederlande erklärt: „Museen und Archive erkennen die Macht multisensorischer Präsentationen an. Doch es mangelte an den wissenschaftlichen Standards, Mitteln und Daten, um die weitreichende Rolle von Gerüchen und dem Geruchssinn für das Kulturerbe zu bestimmen, zu konsolidieren und zu fördern.“ Über ODEUROPA soll sich das ändern. „Das ist das erste europäische Forschungsprojekt, in dem die Geistes- und Kulturwissenschaften mit modernsten Computermethodiken kombiniert werden, um die Rolle des Geruchs für die Kultur zu erfassen und zu dokumentieren“, berichtet Leemans.

Datenquellen zu Gerüchen in den historischen Aufzeichnungen

„Mit dem kombinierten Fachwissen aus Bilderkennung, Textauswertung und semantischer Webtechnologie konnten wir einen Großteil des olfaktorischen Erbes in Europa bestimmen und dokumentieren“, so Leemans. Nachdem Hinweise zu Gerüchen in den historischen Aufzeichnungen gefunden wurden, ging es an das ehrgeizige Ziel, einige davon nachzubilden. „Ich war erstaunt, wie gut die Verfahren zur Sinnesauswertung funktioniert haben“, meint Leemans. „Zu Beginn des Projekts hätte ich keine so großartigen Ergebnisse erhofft, denn wir mussten in so vielen Aspekten von ganz vorn beginnen.“

Von der Referenzquelle zum Labor – Gerüche der Vergangenheit schaffen

Cecilia Bembibre Jacobo, eine Kulturwissenschaftlerin im Projekt, erklärt die drei Geruchsarten, mit denen sich das Team beschäftigt hat: Gerüche zu Objekten, die es nicht mehr gibt, wie historische Bisampafel; abstrakte Gerüche, die durch Bilder hervorgerufen werden; und Gerüche von Objekten, die es noch immer gibt. Eine interessante Fallstudie war der Geruch der „Hölle“, wie sie in einem Gemälde von Martin Schaffner im Museum Ulm dargestellt wird. „Über eine Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Parfümsachverständigen haben wir einen Geruch geschaffen, um eine konzeptionelle Geruchslandschaft hervorzurufen“, sagt Bembibre. „Die Parfümsachverständigen haben eine strukturierte, historische Zusammenfassung erhalten. Dann wurden wiederholt entwickelte Gerüche von den (kunst-)historischen Forschenden und Duftdesignern bewertet, die sich gut mit den Duftstoffen auskennen“, erklärt sie. Das Endergebnis ist durchaus erstaunlich! Für greifbarere Objekte wurden Verfahren aus der analytischen Chemie angewandt, um die flüchtigen organischen Stoffe, die den Geruch hervorrufen, zu extrahieren. Dann wurden die Ergebnisse über Headspace-Analysen – bei der die flüchtigen Verbindungen in der Luft rund um die olfaktorische Probe gemessen werden – sowie mit Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung und Gaschromatographie-Olfaktometrie geprüft. Durch die Kombination dieser Verfahren konnten die Forschenden die Zusammensetzung des Geruchs ableiten und an einer chemisch genauen Rekonstruktion arbeiten.

Ein wertvoller Beleg für das immaterielles Erbe

Die Ergebnisse wurden im Projekt proaktiv verbreitet. Im Odeuropa Smell Explorer sind mehr als 2 Millionen Geruchsreferenzen bzw. „Nasenzeugenberichte“ aus 43 000 Bildern und 167 000 Texten enthalten. Das Team hat auch eine Enzyklopädie der Geschichte und des Erbes von Geruch aufgestellt, in der kuratierte Geschichten über Gerüche, Nasen und Geruchslandschaften dargeboten werden, die in die Geschichte eingegangen sind. Der Odeuropa Smell Explorer, der europäische olfaktorische Wissensgraph, das Instrumentarium zur olfaktorischen Erzählkunst und zum olfaktorischen Erbe wurden auf der Ergebnisplattform von Horizont registriert. Leemans hofft, dass Museen und andere Kulturerbestätten und Bildungseinrichtungen mit diesen Ressourcen ihre Wirkung stärken können, indem sie Gerüche in die Erzählungen integrieren. Ihrer Meinung nach können Museen aller Größen mit multisensorischen Ansätzen ein breiteres Publikum ansprechen, das sich auf neue Art mit der Sammlung auseinandersetzen kann. „Geruch ist demokratisch: In gewisser Weise sind wir alle Geruchsexpertinnen und -experten. Aus Gerüchen entstehen Unterhaltungen und interkultureller Austausch. Gerüche können überraschen und bilden ein Tor zur Vergangenheit“, sagt sie. „Sie können verschiedenen Zielgruppen die Augen, oder eher Nasen, öffnen.“

Schlüsselbegriffe

ODEUROPA, Geruch, Duft, analytische Chemie, immaterielles Kulturerbe, Odeuropa Smell Explorer, Geruchslandschaften, Nasenzeugenberichte, Rekonstruktion, Museen, kulturelles Erbe, Textmining, Geruchssinn

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