Jenseits von Hollywood: Einblicke in die Filmstudios des goldenen Zeitalters in Europa
Aus der goldenen Zeit des europäischen Kinos zwischen 1930 und 1960 ist mehr geblieben als Filmklassiker. Es entstand ein Netz an Filmstudios, die ein komplexes Ökosystem an Kreativität, Technologie und Arbeit bildeten. Die Forschung zur Filmindustrie dreht sich meist um Hollywood, weshalb der Blick im ERC-finanzierten STUDIOTEC(öffnet in neuem Fenster) auf vier wichtige Filmproduktionszentren in Europa gelegt wurde: Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien. Das Team beleuchtete die Entwicklung und offenbarte dynamische Strukturen in den lokalen Gemeinschaften, die über nationale Grenzen hinweg vernetzt waren. Die Projektergebnisse sind relevant für die aktuellen Herausforderungen von Filmstudios, insbesondere im Zusammenhang mit virtueller Produktion und KI. „Die Lehren der Vergangenheit, die bei STUDIOTEC dokumentiert werden, stellen einen Quell instruktiver Präzedenzfälle dar. Die Verfahren und Details zur Filmproduktion, der Arbeit im Studio, den Methoden, Kompetenzen und Technologien sind nützlich, um Ansätze der virtuellen Produktion zu erstellen“, so Sarah Street, die Hauptforscherin bei STUDIOTEC und Professorin für Film an der Universität Bristol.
Die Vergangenheit des Kinos mit neuen Werkzeugen verstehen
Im Projekt wurde ein „tektonischer“ Ansatz verfolgt, der auf dem Konzept aus der Architektur beruht, wie einzelne Schichten innerhalb einer Struktur interagieren. „Die Idee der ‚Tektonik‘ stellt einen Weg dar, die vielfältige, geschichteten, wandelbaren Erfahrungen der Studios als Strukturen in ihren lokalen Geographien zu erforschen, die sich mit der Zeit und je nach Umständen teils grundlegend änderten“, erklärt Street. In der Methodik wurde traditionelle Archivforschung mit hochmoderner 3D-Visualisierung und virtueller Realität kombiniert. Die Forschenden haben digitale Scans historischer Studios(öffnet in neuem Fenster) wie Cinecittà in Italien und Babelsberg in Deutschland erstellt, um eine immersive Perspektive darauf zu erhalten, wie diese Orte den Prozess des Filmemachens prägten.
Wichtige Erkenntnisse aus der Architektur zur Arbeit
Das STUDIOTEC-Team entdeckte wichtige Ergebnisse zu vier verknüpften Themen. Bezüglich Architektur und Infrastruktur standen die Filmstudios in ständiger Wechselwirkung mit der direkten Umgebung. „Studios mussten oft komplex aufgebaut sein, damit die Arbeiten der Vorproduktion, Produktion und Nachbearbeitung nahtlos ineinander greifen konnten“, sagt Street. Hinsichtlich Kreativität und Innovation hat das Projektteam die Anpassung der Studios an grundlegende technologische Veränderungen dokumentiert. Eine der größten Herausforderung war die Anpassung an Kino mit Ton in den 1930er Jahren, die Architektur, Materialien, Arbeit und Ausrüstung der Studios länderübergreifend betraf. Die Forschenden haben nachverfolgt, wie Innovationen wie Spezialeffekte, Farbtechnologie und Ausrüstung über Grenzen hinweg ausgetauscht wurden, häufig in unterschiedlicher Geschwindigkeit und mit abweichendem Einsatz. Politische und wirtschaftliche Faktoren waren entscheidend für den Betrieb der Studios. Durch den Faschismus in Deutschland und Italien war die Filmproduktion unter direkter staatlicher Kontrolle. Selbst bei weniger dominanter staatlicher Kontrolle in Großbritannien und Frankreich waren Filme sehr wichtig für die nationale Propaganda im Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit wurden auch viele Studios für andere Zwecke beschlagnahmt: Im Cinecittà wurden Kriegsgefangene untergebracht, in den Geiselgasteig Studios in der Nähe von München vertriebene Flüchtlinge. Was die Arbeitsbeziehungen(öffnet in neuem Fenster) angeht, hat das STUDIOTEC-Team die Vielfalt der Positionen und Spezialisierungen, die transnationalen Bewegungen von Arbeitskräften im Auslandsdienst und die ungleichen Arbeitsbedingungen dokumentiert, von Ungleichheiten bei Lohn und Leistungen bis zu Abweichungen bezüglich soziale Status und Einbindung in Gewerkschaften. Im Projekt wurden auch die unterschiedlichen Chancen für Frauen in einzelnen Ländern und Zeiten hervorgehoben. In der umfassenden Dokumentation von STUDIOTEC ist nicht nur die Geschichte des Kinos enthalten, sondern auch ein Fahrplan für die Erforschung, wie die Kreativindustrie sich anpasst, zusammenarbeitet und inmitten technologischer und politischer Herausforderungen floriert.