Brain-on-a-Chip als vorklinisches Modellinstrument
Demenz, ein Begriff, der eine Vielzahl von Erkrankungen beschreibt, die zu einem Rückgang der Gehirnfunktion führen, betrifft allein in Europa etwa 10 Millionen Menschen – diese Zahl wird sich bis zum Ende des Jahrzehnts voraussichtlich verdoppeln. Doch trotz jahrzehntelanger Forschung ist eine wirksame Behandlung dieser Erkrankungen nach wie vor schwer vorstellbar. „Die Komplexität des Gehirns erschwert es, Vorhersagen zu treffen und neue medizinische Lösungen zu finden“, bemerkt Manuel Bañobre, Forscher am internationalen iberischen Nanotechnologie-Labor(öffnet in neuem Fenster). Deshalb sind 2D-Zellkulturen und Tiermodelle zum Nonplusultra für die Arzneimittelentwicklung und die zugehörige Forschung geworden. Diese Modelle können jedoch, abgesehen von ethischen Bedenken, die physiologischen Gegebenheiten und die Komplexität des Gehirns nicht perfekt nachbilden. Diese technologische Lücke wird durch Vorrichtungen namens „Brain-on-a-Chip“ geschlossen. „Durch die Trennung des Gehirns in verschiedene zelluläre Strukturen unter Beibehaltung ihrer Verbindungen bietet Brain-on-a-Chip ein vielversprechendes, übersichtliches Instrument für die Durchführung vorklinischer Modelle“, fügt Bañobre hinzu. Im Rahmen des EU-finanzierten Projekts BrainChip4MED wird dazu beigetragen, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen.
Die Blut-Hirn-Schranke modellieren
Im Projekt, das Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen(öffnet in neuem Fenster) erhielt, lag der Schwerpunkt auf der Modellierung der Blut-Hirn-Schranke (BHS). „Die Blut-Hirn-Schranke hat sich als zusätzliches Schutzsystem der Blutgefäße entwickelt, das als Pförtner verhindert, dass Giftstoffe und andere schädliche Substanzen in das Gehirn gelangen“, kommentiert Raquel Rodrigues, die mithilfe eines Stipendiums der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen forscht. Die Wirksamkeit der Blut-Hirn-Schranke beruht nach Angaben von Bañobre auf der physiologischen Beschaffenheit der Gefäßendothelzellen. Diese bilden dichte und adhäsive Verbindungen, die eine halbdurchlässige Barriere ohne Fensterung bilden, die die freie Diffusion und den schnellen Austausch von Molekülen zwischen dem Blut und dem Gehirn einschränkt. „Diese schützende Schranke ist auch eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung wirksamer Arzneimittel, die diese Blutbarriere überwinden und auf die Gehirnzellen wirken können“, erklärt Projektkoordinator Bañobre.
Das Gebiet der Blut-Hirn-Schranken-Modelle voranbringen
Die Forschenden entwickelten daher eine innovative Biomembran, die auf der nativen extrazellulären Matrix des Gehirns basiert. Diese Biomembran besteht aus einer neuen, proangiogenen Membran auf Gelatinebasis, die die zur Förderung der neuronalen Gefäßbildung erforderlichen Wachstumsfaktoren aufnehmen und freisetzen kann und die mechanischen Eigenschaften, die Hydratation und die Adhäsionsfaktoren des Gehirns genau nachahmt. Das Ergebnis dieser Arbeit ist ein einfaches, schnelles und ungiftiges Verfahren zur Herstellung einer präzisen BHS-Biomembran, die in der Lage ist, über mehrere Tage hinweg ideale Bedingungen für die Ausbreitung, Adhäsion und Bildung enger Verbindungen von Gefäßendothelzellen aufrechtzuerhalten oder zu schaffen. „Es handelt sich um einen bedeutenden Fortschritt gegenüber dem derzeitigen Stand der Technik bei der Entwicklung von BHS-Modellen“, so Bañobre.
Fortschritte auf dem Weg zu einer besseren Gesundheitsversorgung für alle
Letztlich gelang es projektintern, eine nanomedizinische Plattform zu entwickeln, die die Prüfung relevanter Formulierungen für die therapeutische Verabreichung an das Gehirn unterstützt. Außerdem wurde eine neuartige optische Biosensorstrategie zur Überwachung von Alzheimer-Krankheitsmerkmalen in vorklinischen Versuchen konzipiert. „Sie ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Bereitstellung eines vorklinischen Instruments, welches das Potenzial birgt, die Prognose zu steuern und wirksamere therapeutische Entscheidungen für Arzneimittel oder andere nanotherapeutische Systeme zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen zu unterstützen und so eine bessere Gesundheitsversorgung und ein besseres Wohlergehen für alle zu gewährleisten“, schließt Rodrigues. Rodrigues arbeitet weiter an der Entwicklung des BrainChip4MED-Prototyps und konzentriert sich dabei auf die Integration von Biosensorsystemen für die kontinuierliche Echtzeitprüfung von Arzneimitteln und Nanoträgern, die bei neurodegenerativen Erkrankungen helfen sollen.
Schlüsselbegriffe
BrainChip4MED, Blut-Hirn-Schranke, Demenz, neurodegenerative Erkrankungen, Gehirn, Brain-on-a-Chip, Gesundheitswesen, Alzheimer, vorklinisches Instrument