Die Dynamik mikrobieller Gemeinschaften entschlüsseln
Die Mikrobiota, d. h. die Gemeinschaft von Bakterien, Pilzen und Protisten(öffnet in neuem Fenster), die in und auf höheren Organismen leben, haben großen Einfluss auf die Gesundheit ihrer Wirte. Diese winzigen Organismen tragen zu den lebenswichtigen Funktionen von Pflanzen und Tieren bei. Unter bestimmten Bedingungen können sie jedoch Schaden anrichten. Ein besseres Verständnis des Holobionten – des Netzes komplexer Interaktionen zwischen Wirt und Mikrobiota – bietet einen neuen Ansatz für den Schutz von Ernährungssystemen. Das ERC-finanzierte Projekt DeCoCt(öffnet in neuem Fenster) nutzte Instrumente zur Erforschung der Genetik und einen großen Längsschnittdatensatz im Zusammenhang mit Arabidopsis thaliana („Acker-Schmalwand“) – einer häufig untersuchten Pflanze aus der Familie der Senfpflanzen – um herauszufinden, wie mikrobielle Gemeinschaften Nutzpflanzen schützen können.
Mikrobielle Stabilität
Zu den mikrobiellen Gemeinschaften gehören häufig fakultative Pathogene – also Organismen, die normalerweise schadlos mit dem Wirt koexistieren, unter Stressbedingungen jedoch Krankheiten verursachen können. Eine zentrale Hypothese des Projekts war, dass stabile mikrobielle Gemeinschaften die Resilienz des Wirtes stärken. Zu den Stressbedingungen zählten beispielsweise extreme Temperaturen und Feuchtigkeit. Die Forschenden ergründeten, wie diese externen Faktoren in Verbindung mit der Genetik des Wirts und biotischen Interaktionen schädliche Veränderungen in der mikrobiellen Gemeinschaft verursachen. DeCoCt analysierte einen jahrzehntelangen Datensatz von Arabidopsis thaliana – unter Feldbedingungen und in Verbindung mit hochauflösenden, für die Umweltbedingungen relevanten Satellitendaten. „Eine zentrale Erkenntnis ist, dass Stabilität und Persistenz in der Mikrobiota emergente Eigenschaften darstellen, die über die Wechselwirkungen zwischen den Mikroben, dem Wirt und den Umweltbedingungen geprägt werden. Die Zusammensetzung der Mikrobiota ergibt sich aus dem dynamischen Gleichgewicht zwischen internem und externem Druck“, erklärt Projektkoordinator Eric Kemen von der Universität Tübingen(öffnet in neuem Fenster).
Analyse der Dynamik von Mikrobiota
Der Holobiont ist ein komplexes System. Die entscheidende Dynamik findet auf zellulärer oder chemischer Ebene statt. Diese minutiösen Wechselwirkungen müssen die Wissenschaftler beim Testen ihrer Hypothesen berücksichtigen. DeCoCt setzte dazu eine Reihe von Modellen, maschinellem Lernen und genetischen Analysetechniken ein. Das Projekt kombinierte mehrjährige Feldstudien und gnotobiotische Laborexperimente, bei denen die Mikroorganismen kontrolliert wurden. Die Mikroben wurden mit einer genetischen Technik namens Amplikon-Sequenzierung profiliert, die es den Wissenschaftlern ermöglichte, die Organismen über Zeit und Pflanzenkompartimente hinweg zu verfolgen. Weitere Techniken, die zur Untersuchung zellulärer und molekularer Merkmale der Mikrobiota eingesetzt wurden, umfassten die Sequenzierung ganzer Genome, die Metabolomik und die Proteomik. Mikrobielle Kookkurrenz-Netzwerke und lineare Modelle wurden zur Bewertung mikrobieller Reaktionen verwendet. Zur Auswahl mikrobieller Kandidaten für gnotobiotische Systeme kamen maschinelles Lernen und netzwerkbasierte Filterung zum Einsatz. Dieser vielschichtige Ansatz führte zu positiven Ergebnissen. „Durch die Integration von zehn Jahren Mikrobiom- und Wirtsdaten können wir nun Mikroben mit hoher ökologischer Relevanz priorisieren, die über Jahreszeiten und Standorte hinweg bestehen und die zu stabilen pflanzenassoziierten mikrobiellen Gemeinschaften beitragen“, erklärt Kemen.
Synthetische mikrobielle Gemeinschaften
Fein abgestimmte Fähigkeiten waren erforderlich, um einen besseren Einblick in die Triebkräfte der Holobionten-Dynamik zu gewinnen. Diese Techniken haben den Weg für die Manipulation der Mikrobiota geebnet, die die Pflanzengesundheit fördert. Für den Pflanzenschutz hat DeCoCt synthetische mikrobielle Gemeinschaften (SynComs) mit einer Kerngruppe von Mikroben, darunter Pseudomonas-Arten, ausgesät. Ausgewählte Pseudomonas-Stämme wurden auf ihre Fähigkeit getestet, Gemeinschaften zu stabilisieren und antagonistisches Verhalten zu unterdrücken, doch ihre Auswirkungen waren kontextabhängig und variierten gemäß der Zusammensetzung der Gemeinschaft. Neben der Aussaat von SynComs in Arabidopsis thaliana untersuchte DeCoCt außerdem, wie sich SynComs in der Hülsenfrucht Lotus corniculatus verhalten. Die Anwendung auf Nutzpflanzen war zwar nicht Teil des Projektumfangs, aber die Ansätze von DeCoCt wurden im Rahmen laufender Kooperationen an Reispflanzen untersucht. Die Datensätze und der konzeptionelle Rahmen des Projekts sind vielversprechend für die Sicherung einer gesunden und stabilen Zukunft der Lebensmittelherstellung.