Die Leber nachahmendes Gewebe als Alternative zu Transplantaten
Der dramatische Anstieg von Adipositas und Typ-2-Diabetes geht mit einer höheren Prävalenz von Lebererkrankungen und damit einer höheren Nachfrage nach Lebertransplantaten einher. Aufgrund mangelnder Spenderlebern stellt diese Tatsache weltweit eine große medizinische Herausforderung dar. „Der Bedarf ist riesig und es gibt zu wenige Spenderinnen und Spender“, sagt Brigitte Städler(öffnet in neuem Fenster), Professorin an der Universität Aarhus. „Außerdem kommt nicht jeder Mensch für die Transplantationsliste in Frage, etwa aufgrund einer schlechten Perspektive oder schlechter Lebensführung und so weiter.“ Um diese Betroffenen zu unterstützen, braucht das ärztliche klinische Personal keine synthetischen Lebern, sondern leberähnliche Vorrichtungen außerhalb des Körpers, die den Menschen über eine kritische Phase hinweg unterstützen und möglicherweise die natürlichen regenerativen Fähigkeiten der Leber in Gang kommen lassen. Im Zuge des vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) finanzierten Projekte ArtHep entwickelten Städler und ihr Team leberähnliches Gewebe, das sowohl biologische als auch synthetische Teile enthält und bestimmte Teile der Kernstruktur und der Funktionen der menschlichen Leber nachahmt. „Wir haben halbsynthetische Gewebe hergestellt, die möglicherweise in extrakorporalen Leberunterstützungsvorrichtungen zum Einsatz kommen könnten, auch wenn her noch ein langer Weg vor uns liegt“, fügt Städler hinzu. „Parallel dazu werden wir dieses synthetische Gewebe auch als Zwischenstufe zwischen 2D-Zellkultur und Leberorganoiden oder Leberschnitten zur Erprobung neuer medizinischer Interventionen erforschen.“
Entwicklung, Erprobung und Biodruck von halbsynthetischem Lebergewebe
Bei der Entwicklung halbsynthetischer Gewebe seien zwei Aspekte zu berücksichtigen, wie Städler erläutert. Einerseits müssten die künstlichen Zellen einen ausgewählten Aspekt der Hepatozyten (der primären Zellen der Leber) nachahmen. Andererseits müssten die Säugetierzellen die künstlichen Zellen tolerieren, wenn sie sich vermehren (an Zahl zunehmen). Die Forschenden nutzten deshalb von Hepatozyten stammende Zellmembranvesikel, um die künstlichen Zellen zu umhüllen. „Mit anderen Worten: Die künstlichen Zellen ‚sahen‘ dann für die lebenden Säugetierzellen wie Hepatozyten aus“, erläutert Städler. Das Team setzte 3D-Biodruck zur Herstellung des zentimetergroßen halbsynthetischen Gewebes ein. Die Tinte enthielt eine Flüssigphase, die hauptsächlich als Nahrung für die Säugetierzellen diente und sie während der Vermehrung die Umgebung umgestalten ließ. Die Festphase war eine Kombination aus Leberzellaggregaten und künstlichen Zellen.
Schnittstelle zwischen künstlichen und Säugetierzellen
Wenn künstliche Zellen mit der lebenden Welt verbunden werden, vermehren sich Säugetierzellen, während sich die Zahl der künstlichen Zellen nicht verändert, da sie über keine Fähigkeit zur Selbstreplikation verfügen, was eine wesentliche Einschränkung darstellt. „Die Selbstreplikation als ein wesentliches Merkmal des Lebens erfordert Teilungs- und Wachstumszyklen, die in synthetischen Systemen nicht erreicht werden“, erklärt Städler. „Um diese Herausforderung zu meistern, haben wir die proteinvermittelte Teilung von Vesikeln anhand eines einzigen membranmodulierenden Enzyms veranschaulicht, das aufgrund seiner Einfachheit und Wirksamkeit einzigartig ist, und keine inhärenten Einschränkungen aufweist, die die Entwicklung einer sich selbst replizierenden künstlichen Zelle behindern würden.“
Innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft Verbindungen knüpfen
Dank ArtHep konnte Städler enge Kontakte zu klinischen Hepatologiefachleuten in Aarhus und London knüpfen, und sie hofft, dass diese die Grundlagenforschung in die Praxis umsetzen werden, sodass die Betroffenen zu guter Letzt davon profitieren werden. Die Arbeiten zur Integration von künstlichen Zellen und Säugetierzellen erregten bereits die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Gemeinschaft. „Als wir 2019 mit ArtHep begannen, waren wir die aus der Reihe Fallenden, die versuchten, künstliche Zellen im Kontext der Gewebetechnik zu erkunden, um künstliche Zellen mit Säugetierzellen zu verknüpfen und miteinander kommunizieren zu lassen“, erklärt Städler. „Heute explodiert das Feld, und Berichte zu diesem Thema werden schnell zu einer Hauptforschungsrichtung in der Bottom-up-Synthesebiologie.“