Multikulturelle Affen: neue Sicht auf Primatenkommunikation
Zwei Universalien der menschlichen Sprache sind Grammatik und Kultur: Aus relativ kleinen Mengen von Lauten oder Zeichen können wir nahezu unendliche Bedeutungen erschaffen, indem wir sie zu neuen Strukturen kombinieren, und nahezu unendliche Variationen, indem wir unsere Sprachen und Dialekte kontinuierlich lernen und aktualisieren. Vielfalt, jene Unterschiede zwischen Individuen, Gruppen und Kulturen, bilden den Kern der Sprache – sei es in unserer Bedeutung, unserer Grammatik oder unserer eigenen kommunikativen Entwicklung. Doch die Bedeutung dieser Vielfalt und der damit verbundene Reichtum wurden in der Erforschung der Kommunikation von Menschenaffen noch nicht vollständig erkannt und erkundet. Die Forschungsarbeit konzentrierte sich häufig auf einzelne Populationen oder Gemeinschaften. „Es ist, als hätten wir die Sprache nur in einem kleinen Dorf in Schottland, im Iran oder in Mikronesien untersucht“, sagt Cat Hobaiter(öffnet in neuem Fenster), Professorin für Ursprünge des Geistes an der Universität St Andrews(öffnet in neuem Fenster) und Hauptforscherin des Projekts GESTURALORIGINS(öffnet in neuem Fenster). „Im Mittelpunkt des Projekts Linguistic Features of pan-African Ape Communication steht die einfache Idee, dass wir, um herauszufinden, was an der menschlichen Sprache universell oder einzigartig ist, bei unserer Untersuchung der Kommunikation der Menschenaffen dieselbe multikulturelle Perspektive einnehmen müssen“, fügt sie hinzu.
Vergleich der Bedeutungskonstruktion bei Menschenaffen über Zeit und Ort hinweg
Um zu erkunden, wie Menschenaffen Signale kombinieren, um Bedeutungen zu konstruieren, und wie sich Geschwindigkeit, Größe und Zeitpunkt von Gesten auf die Bedeutung auswirken, verfolgte das Team mehrere Ansätze. „Wir hatten das unglaubliche Glück, Zugang zu einzigartigen Langzeitarchiven mit Videos über das Verhalten von Menschenaffen zu bekommen, die in einigen Fällen mehrere Generationen derselben Gemeinschaft abdecken“, berichtet Hobaiter. Ergänzt wurde dies durch Feldarbeit zur Untersuchung sowohl bekannter als auch neuer Menschenaffenpopulationen in ganz Afrika. Das Team erkundete außerdem den Nutzen der Online-Bürgerwissenschaft: „Es stellte sich heraus, dass es die Leute wirklich lieben, sich online Videos von Menschenaffen anzusehen, und an einer unserer Studien nahmen über 15 000 Menschen teil!“
Bedeutung derselben Primatengeste je nach Kontext anderes
Die Forschenden hatten bereits eine Methode entwickelt, um die Kernbedeutung einer Geste zu ergründen, wobei sie das Verhalten beobachteten, das den Signalgebenden vom Signalisieren abhält. „Wenn ich Sie morgens bitte, mir den Kaffee zu reichen, werde ich immer wieder darum bitten, aber das Einzige, was mich davon abhält, erneut zu fragen, ist, dass Sie mir den Kaffee reichen. Auch bei den Menschenaffen können wir die Interaktionen zwischen Signalgebenden und -empfangenden untersuchen, um daraus zu schlussfolgern, was der Signalgeber erreichen wollte.“ Aber am spannendsten war die Erkenntnis, dass Menschenaffen, genau wie Menschen, über eine große Flexibilität in ihren Bedeutungen verfügen. „Wir können dieselben Wörter verwenden, um je nach Kontext und Kommunikationspartner etwas ganz anderes zu meinen – und das ist bei den Menschenaffen ebenso. Eine einzelne Geste kann mehrere Bedeutungen haben, aber die konkrete Bedeutung im jeweiligen Anwendungsfall hängt davon ab, mit wem kommuniziert wird und innerhalb welchen größeren Kontexts“, erklärt Hobaiter.
Umfangreicher Datensatz aufgezeichneter Affengesten: Grundlage zukünftiger Forschung zum Ursprung von Sprache
Innerhalb des vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) finanzierten Projekts GESTURALORIGINS wurde ein umfassender Datensatz(öffnet in neuem Fenster) entwickelt, der den Forschenden ermöglicht, Verfahren zur Untersuchung der Linguistik auf ein breites Spektrum aufgezeichneter Gesten(öffnet in neuem Fenster) anzuwenden. Dies bedeute, dass die Ressource eine wahre Fundgrube sein, meint Hobaiter. Sie fangen gerade erst an, an der Oberfläche dessen zu kratzen, was sich hier offenbart, und dessen Potenzial zu erahnen. „Die Projektarbeit war unglaublich erfolgreich. Wir konnten erstmalig zeigen, dass Menschenaffen in ihrer Kommunikation sowohl universelle als auch kulturelle Unterschiede aufweisen, genau wie wir es in der menschlichen Sprache sehen“, fügt sie hinzu. Außerdem verschaffte ihr das Projekt die Freiheit, bei der Untersuchung der Evolution der Sprache über das hinauszugehen, was projektintern ihrer Meinung nach hätte thematisiert werden sollen. „Wir beginnen, über Themen nachzudenken, die während des größten Teils meines Berufslebens nur Spekulationen nach dem Abendessen gewesen wären: Wofür waren die ersten Worte? Wie hat das Geschichtenerzählen unsere Art der Kommunikation geprägt? Nutzen Menschenaffen ihre Kommunikation, um ihr Gefühl von individueller und sozialer Identität zu prägen?“