Die unsichtbaren Reisen von Museumssammlungen
Wissenschaftsmuseen auf der ganzen Welt werden zunehmend dazu aufgefordert, sich mit der Herkunft – der Besitzgeschichte von Objekten – und Fragen der Rückführung auseinanderzusetzen. Zu verstehen, woher Sammlungen stammen, wie sie bewegt wurden und warum sie in bestimmten Institutionen landeten, ist ein komplexes Unterfangen. Das Projekt SciCoMove(öffnet in neuem Fenster) konnte neue Erkenntnisse zu diesen Fragen gewinnen. Es untersuchte wissenschaftliche Sammlungen aus den Jahren 1800 bis 1950 in den Bereichen Paläontologie, Anthropologie und Botanik sowie in verwandten angewandten Wissenschaftszweigen. Unterstützt über die Marie-Sklodowska-Curie-Maßnahme(öffnet in neuem Fenster) bewertete das Projekt die Rolle von Museen bei der Bewahrung und Interpretation historischer Objekte neu. „Die Herkunftsfrage ist ein komplexes Thema. Nicht alle Umstände des Sammelns waren eindeutig illegal und/oder kolonial. Am Sammeln und Transportieren der Objekte zu den Museen waren zahlreiche Menschen beteiligt und sie handelten aus unterschiedlichen Beweggründen“, erklärt Nathalie Richard, wissenschaftliche Koordinatorin von SciCoMove.
Kleinere Museen, größerer Zusammenhang
Während sich Provenienzdebatten oft auf große, bekannte Institutionen konzentrieren, richtete SciCoMove seinen Fokus auf kleinere Museen. Dabei wurde eine differenziertere Geografie der Bewegungen wissenschaftlicher Sammlungen aufgedeckt. Dieser Schwerpunkt verdeutlichte, auf welch unterschiedliche Weise Museen im Laufe der Zeit arbeiteten. „Über die aktuelle Definition hinaus, dass es sich bei diesen Einrichtungen um dauerhafte Einrichtungen handelt, die für die Bewahrung von Sammlungen zuständig sind, hat unsere Forschung auch deren Prekarität aufgezeigt. Zwar wurden viele Wissenschaftsmuseen gegründet, doch viele verschwanden und gingen verloren. Mit ihnen verschwanden auch Objekte, Sammlungen und Informationen.“ Durch die Zusammenarbeit zwischen lateinamerikanischen und europäischen Akademikern und Fachleuten wollte SciCoMove eine Geschichte begründen, die auf gleichwertigen Beiträgen aufbaut. Dabei kam zum Vorschein, dass wissenschaftliche Sammlungen in mehrere Richtungen wanderten – „nicht nur von Lateinamerika zu den wichtigsten Museen in den westlichen Hauptstädten, sondern auch zwischen Museen in den sogenannten südlichen Ländern und von einem kleineren Museum zum anderen“, bemerkt Richard. Zudem dokumentierte das Team Sammlungen, die in die entgegengesetzte Richtung wanderten – von Europa nach Lateinamerika.
Nachverfolgung von Objekten im Laufe der Zeit
Die Analyse der Museumsobjekte und ihrer Archive erwies sich als schwierig, da die Aufzeichnungen fragmentiert und verstreut waren. Dennoch gelang es dem Projekt, die Zirkulation der Sammlungen im Laufe der Zeit zu rekonstruieren. SciCoMove beschäftigte sich mit Museumsarchiven und organisierte Workshops, um die praktischen Dimensionen des Sammelns zu untersuchen. Die Forschenden deckten verschiedene Bereiche ab, von der Pharmazie und Landwirtschaft bis hin zur Ökonomie seltener oder begehrter Gegenstände, und untersuchten, inwieweit diese zu Fälschungen und Vervielfältigungen führten. Außerdem untersuchte das Team, wie berufliche, religiöse und sprachliche Netzwerke sowie Migrantendiasporas die Bewegungen der Sammlungen beeinflussten. Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen hat das Projekt Museen als „dynamische Knotenpunkte in Wissensnetzwerken“ neu definiert – anstatt sie als statische Aufbewahrungsorte zu sehen. Richard definiert: „Museen sind Orte, an denen sich sowohl Menschen als auch Objekte versammeln und an denen gemeinsam wissenschaftliche Interpretations- und Klassifizierungsgrundsätze für die Sammlungen entwickelt werden.“ Im Gegensatz dazu zeigte die Forschung, dass Museen auch als Orte der Verstreuung angesehen werden können, da Objekte durch Verkäufe und Tauschgeschäfte ins Ausland gelangen – manchmal unbeabsichtigt oder sogar durch betrügerische Mittel. Die Fallstudien(öffnet in neuem Fenster) von SciCoMove veranschaulichen diese komplexen Bewegungen. Ein Beispiel dafür ist das Gürteltier, das in vielen Partnerinstitutionen des Projekts vertreten ist. Seine Reise spiegelt seinen symbolischen Status als Wahrzeichen Amerikas, seinen wechselnden Platz in wissenschaftlichen Klassifizierungen und seinen kommerziellen Wert wider – wobei der Sammeldruck die Art bisweilen sogar gefährdet. Geschichten zu Gürteltierexemplaren und weiteren Objekten aus Partnersammlungen sind in der projekteigenen digitalen Ausstellung(öffnet in neuem Fenster) zu sehen. Darüber hinaus förderte die Forschung bessere Konservierungspraktiken und half Institutionen, ältere Etiketten und Beschriftungen wiederzuentdecken, um die Spuren der Vergangenheit zu verstehen.