Mikroroboter, die biologische Funktionen nachahmen
Eine faszinierende Eigenschaft lebender Organismen ist die Möglichkeit zur Steuerung von Bewegungen durch chemische Reize. Dieses Phänomen wird als Chemotaxis bezeichnet. „Bei der Chemotaxis bewegen sich Zellen auf einen chemischen Lockstoff zu oder von einem chemischen Abwehrstoff weg“, erklärt Larisa Florea, Koordinatorin von Projekt ChemLife(öffnet in neuem Fenster) am Trinity College Dublin(öffnet in neuem Fenster). „Dieser Prozess ist für viele biologische Funktionen von entscheidender Bedeutung, beispielsweise dafür, dass Bakterien Toxine meiden oder dass sich Immunzellen zum Infektionsort bewegen.“
Mikrostrukturierte sensorische Fahrzeuge
Das vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) unterstützte Projekt ChemLife verfolgte das Ziel, die Chemotaxis auf Mikroebene synthetisch nachzubilden. „Lebende Organismen sind weitaus komplexer als Kunststoffe“, fügt Florea hinzu. „Es ist aber möglich, dass wir durch die Kombination von Chemie, intelligentem Design und präziser 3D-Fertigung weiche Materialien mit verbesserten Eigenschaften erzielen können.“ In diesem Kontext hatte Florea die Entwicklung von mikrostrukturierten Vehikeln vor Augen. Diese könnten in komplexen Fluidumgebungen „navigieren“ und spezifische chemische Spuren effektiv „erkennen“ oder „detektieren“. „Unsere ersten entwickelten Vehikel waren unglaublich schlicht: Tröpfchen“, sagt sie. „Wenn wir uns Mikrovehikel vorstellen, denken manche von uns vielleicht an Filme wie ‚Die phantastische Reise‘.“ In ChemLife konnten wir jedoch zeigen, dass Tröpfchen im Mikroliterbereich chemischen Gradienten über weite Strecken folgen können, genau so wie Bakterien auf der Suche nach Nahrung.“ Das Projekt demonstrierte zudem, dass sich diese „intelligenten“ Tröpfchen durch Oberflächenspannungsgradienten fortbewegen, die Quellen von chemischen Lockstoffen in komplexen Fluidnetzwerken aufspüren und sogar während ihrer Reise ihre lokale Umgebung detektieren und darüber berichten können. „Es mag vielleicht nicht der Mikroroboter aus unserer Vorstellung sein, aber es ist einer“, bemerkt Florea.
Komplexe 3D-Polymermikrostrukturen
Das nächste Ziel war der Übergang von Tröpfchen zu komplexeren 3D-Polymermikrostrukturen. „Wir haben eine Reihe von intelligenten Polymeren mit spezifischen Funktionalitäten entwickelt“, erklärt Florea. „Dazu gehören Mikroausleger, die sich unter elektrischer Stimulation biegen, Mikroblumen, die sich als Reaktion auf chemische Reize öffnen, und Mikrostrukturen, die je nach lokaler chemischer Umgebung ihre Farbe ändern.“ Diese bahnbrechende Arbeit hat zu einer Reihe von Entdeckungen geführt. „Die Möglichkeit zur Steuerung dieser Flüssigkeitsroboter über elektrische Felder war für uns ein wahrer Heureka-Moment“, bemerkt Florea. „Ebenso hat eine unserer fantastischen Doktorandinnen, Annael Sort-Montenegro, unseres Wissens nach die bisher schnellsten Hydrogel-Elektroaktoren demonstriert.“ Diese Arbeit hat zur Entwicklung einer biomimetischen Toolbox geführt, einer Bibliothek anpassungsfähiger Vehikel für ein breites Spektrum an Szenarien. „Die Assemblierung dieser Mikrovehikel in ‚intelligente‘ Gesellschaften, die komplexe Aufgaben bewältigen können, wäre eine wirklich spannende Errungenschaft“, fügt Florea hinzu. „Man denke an Anwendungen in Umgebungen, die derzeit schwer zugänglich sind, mit Objekten im Mikrometerbereich, die so klein sind, dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann.“
Neurochirurgie und lokalisierte Medikamentenverabreichung
Zu den Möglichkeiten für die letztliche Anwendung zählt unter anderem die Neurochirurgie, da die Fernsteuerung dieser Mikroroboter dabei helfen könnte, sich im verschlungenen Netz der Arterien des Körpers zurechtzufinden. Floreas Kollege Jason Delente leistet Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Zu den weiteren potenziellen Anwendungsgebieten gehört die bedarfsgerechte, lokale Verabreichung von Therapeutika. Auch wenn der Weg zur Anwendung nicht immer einfach ist, wird derzeit auf den in diesem Projekt erzielten Fortschritten aufgebaut. „Wir haben kürzlich verschiedene der in ChemLife entwickelten chemischen Verfahren mit Blick auf die Realisierung von anpassbaren Implantaten untersucht“, sagt Florea. „In ähnlicher Weise wenden wir die Tatsache, dass wir reaktionsfähige Mikrostrukturen mit höchster Präzision herstellen können, auf ein anderes europäisches Projekt namens IV-Lab an, um chemische und biochemische Sensoren so klein zu gestalten, dass sie in Venen oder Arterien implantiert werden können.“