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Inhalt archiviert am 2024-04-23

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Feature Stories - Die Tschechische Republik: Heimat der Robotik und Paradies der Forschung

1920 bereicherte der tschechische Schriftsteller Karel Čapek die Welt um das Wort "Roboter", dessen Urheber allerdings sein Bruder Josef ist. Sein Stück "Rossums Universal Robots" - "R.U.R." - ist ein Science-Fiction-Drama, aber Roboter, wenn auch ganz anders als noch die Čapeks sie sich vorstellten, sind heute auf dem besten Weg mitten in unsere Realität. Ihre Entwicklung wird von innovativer Forschung vorangetrieben, deren Schauplatz die Tschechischen Republik ist, ein Land mit einer langen Historie von wegweisenden Neuerungen auf vielen Gebieten.

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Die Tschechische Technische Universität (CTU) in Prag, ältestes Polytechnikum in Mitteleuropa, steht an der Spitze der Robotikforschung. Die Forschergruppen dort arbeiten an einem Spektrum von Technologien, die große Fortschritte bei Robotikanlagen, -anwendungen und im Zusammenwirken zwischen Mensch und Roboter versprechen. Innerhalb des NIFTI-Projekts (1) forschen Wissenschaftler der CTU daran, wie Roboter am effektivsten mit Menschen kooperieren können, um verschiedene Aufgaben zu erfüllen, wobei der Schwerpunkt um Bereich Such- und Rettungsaktionen liegt. Ziel ist die Entwicklung eines kognitiven Roboters, der sich nicht nur seiner eigenen Fähigkeiten und Situation bewusst ist, sondern auch sein Verhalten an die Menschen anpassen kann, mit denen er interagiert. "Bisher wurde viel dazu geforscht, auf welche Weise Roboter autonom funktionieren könnten... Und nur wenig wurde bis heute dazu gesagt, wie denn ein Roboter mit einem Menschen kooperieren könnte. Nicht nur den Menschen auf dem Laufenden halten - sondern tatsächlich den Menschen im Sinn behalten, wenn zu bestimmen ist, was und wie als nächstes zu tun oder zu sagen ist. Und hier kommt NIFTI ins Spiel. NIFTI trägt den menschlichen Faktor in kognitive Roboter hinein", wie es das Projektteam ausdrückt. Das Traumziel sieht ungefähr so aus, dass eines Tages aus Menschen und Robotern bestehende Teams nach einer Katastrophe zusammenarbeiten, um die Situation einzuschätzen und Opfer zu lokalisieren, und die Roboter Aufgaben erfüllen, die für den Menschen zu gefährlich sein könnten. Wir würden innerhalb eines solchen Szenarios Roboter und Menschen interagieren und kommunizieren? Diese Frage wird in einem anderen Projekt beantwortet, an dem ein Team der CTU beteiligt ist. Im Rahmen von Humavips (2) entwickeln Forscher Roboter mit auditiven und visuellen Fähigkeiten, die eine neue Umgebung erkunden, Menschen erkennen und mit ihnen auf eine natürliche Weise agieren können. Mit Hilfe multimodaler Wahrnehmung soll ein Humavips-Roboter in der Lage sein, einen Raum voller Menschen zu betreten, zu erkennen, welche Stimme von wem kommt, eine Person zum Gespräch auszuwählen, ein menschenähnliches Verhalten anzunehmen und zu kommunizieren. Im Grunde wird der Roboter über "soziale Kompetenz" verfügen, was ein entscheidender Faktor dabei ist, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter in jeder denkbaren Umgebung natürlich und wirkungsvoll zu gestalten. Es gibt mitunter allerdings auch einen Bedarf an Robotern, die nicht wie Menschen handeln müssen. Sie könnten sich zum Beispiel eher wie Insekten verhalten. Hier liegt das Ziel von Replicator (3), einem Fünfjahresprojekt, an dem ein CTU-Team und Forscher der Tschechischen Instituts für Mikroelektronische Anwendung sowie Partner in fünf weiteren europäischen Ländern beteiligt sind. Zusammen mit den Schwesterprojekt Symbrion entwickeln die Forscher "Schwarm-Bots" - Horden von kleinen, biologisch inspirierten autonomen Roboters, die kombinieren und sich selbst konfigurieren können, um verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Ähnlich wie Termiten, Ameisen oder Bienen gemeinsam nach Nahrung suchen, Nester bauen und zum Wohl der Kolonie zusammenarbeiten, könnten Roboterschwärme gemeinsam in gefährlichen Umgebungen arbeiten, chirurgische Eingriffe durchführen oder sogar die Oberfläche des Mars erforschen. Die Forscher arbeiten neben weiteren Herausforderungen, denen man sich im Rahmen von Replicator widmet, an Miniaturstromquellen, Sensortechnologie, Selbstprogrammierungs- und Selbstkonfigurationsfunktionen und wollen die Roboter so robust wie möglich ausstatten. Blitze und Genetik und dann noch Déjà-vu In der Tschechischen Republik hat die Arbeit zum Thema Robotik zweifellos Weltklasse; tschechische Forschung und Entwicklung widmet sich allerdings auch noch vielen weiteren Disziplinen und baut auf einem reichen wissenschaftlichen Erbe auf, das auf zahlreiche bemerkenswerte Leistungen verweist. So erfand 1754 Prokop Diviš in unabhängiger Entdeckerfreude den ersten geerdeten Blitzableiter und perfektionierte auf diese Weise die zwei Jahre vorher von Benjamin Franklin aufgestellte These von der elektrostatischen Aufladung von Gewitterwolken. Er ersann auch das erste elektroakustische Musikinstrument überhaupt, das Denis d'or (auch: Goldener Diwisch), ein mit 790 Saiten bestücktes elektrophones Musikinstrument. Ein gutes Jahrhundert später untersuchte der in Brno lehrende Gregor Johann Mendel die Einkreuzung bei Pflanzen und bewies, wie bestimmte Merkmale von Erbsenpflanzen von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Obgleich Mendels Forschungsarbeit damals kaum anerkannt wurde, brachte sie ihm letztlich den Titel des "Vaters der modernen Genetik" ein. Ebenfalls im frühen 19. Jahrhundert war Jan Evangelista Purkyně, ein tschechischer Anatom und Physiologe, einer der bekanntesten Wissenschaftler seiner Zeit, der für seine Arbeit an Gehirnzellen, Blutplasma und seine Entdeckung der Schweißdrüsen berühmt ist. Und die tschechischen Wissenschaftler von heute treten in die Fußstapfen ihrer Wegbereiter und folgen neuen Pfaden. Forscher der Masaryk-Universität, die bis 1990 den Namen Purkyně trug, gaben kürzlich bekannt, dass sie die Ursache des Déjà-vu-Phänomens gefunden haben. Das Team entdeckte in Zusammenarbeit mit Kollegen des Central European Institute of Technology (CEITEC) spezielle Hirnstrukturen, die bei manchen Menschen häufig das Erleben einer Erinnerungstäuschung, eines Déjà-vu, verursachen, während andere Leute diese Erfahrung nie machen müssen. "Dadurch, dass wir strukturelle Unterschiede im Hippocampus gesunder Probanden gefunden haben, die Déjà-vu-Erlebnisse kennen oder eben nicht, konnten wir eindeutig beweisen, dass Déjà-vu-Phänomene direkt mit der Funktion dieser Gehirnstrukturen verknüpft sind", sagt Milan Brázdil vom CEITEC, Hauptautor der Studie, die teilweise von der EU finanziert wird. Das Forschungsergebnis ist eines der ersten des CEITEC, das erst kürzlich in der tschechischen Stadt Brno gegründet wurde. Es ist eines der modernsten Technologiezentren Europas, das sich mit einem großen Spektrum von Wissenschaften, beginnend bei Biologie und Genomik bis hin zu Nanotechnologie und der Entwicklung moderner Werkstoffe, beschäftigt. Aber schon in den Zeiten vor der Gründung des CEITEC spielten Forscher aus Brno in der tschechischen Wissenschaft eine große Rolle. An der Technischen Universität Brno (Vysoké učení technické v Brně, VUT) forscht ein Team an der Entwicklung eines modernen, intelligenten Epidemie- und Medizindatensystems, mit dem Krankheiten genauestens überwacht und vor Epidemien gewarnt werden soll. Das im Rahmen des M-ECO-Projekts (4) erstellte System nutzt Web 2.0-Technologien wie zum Beispiel frei zugängliche Medien und nutzergenerierte Inhalte als inoffizielle, aber schnelle und effiziente Informationsquellen für Wissen über Epidemien. Ebenso in Brno koordiniert die tschechische Abteilung von Honeywell International die Entwicklung von Technologien, die dank der im Rahmen des Reflect-Projekts (5) durchgeführten Arbeit Rechensysteme mit wesentlich höherer Leistung ermöglichen sollen. Das Team konzentrierte sich auf verbesserte Entwurfskonzepte für anwenderprogrammierbare Universalschaltkreise (Field-Programmable Gate-Array, FPGA), integrierte Schaltungen, die beim Multi-Core-Embedded-Computing nach der Fertigung konfiguriert und rekonfiguriert werden können. Ziel ist es, für eine Vielzahl von Anwendungen die Rekonfigurierung und Anpassung FPGA-gestützter Systeme weniger umständlich und fehleranfällig zu realisieren. An der Karls-Universität in Prag liegt der Hauptforschungsschwerpunkt einer Wissenschaftlergruppe auf dem ähnlich anspruchsvollen Gebiet der maschinellen Übersetzung. Die Forscher entwickeln in Zusammenarbeit mit Partnern in Spanien, Frankreich, Rumänien, im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten umfangreiche maschinelle Übersetzungssysteme, die schnell und intelligent auf Nutzerrückmeldungen reagieren. Für die Zwecke des Projekts Faust (6) arbeiten die Forscher mit fünf EU-Amtssprachenpaaren und hoffen, mit Hilfe des direkten Nutzerfeedbacks viele der Übersetzungsfehler und Probleme in den Griff zu bekommen, mit denen sich Maschinenübersetzungssysteme schon seit Jahrzehnten herumplagen. Sprachbarrieren zu überwinden ist auch eine Schlüsselfrage für die Endnutzer, auf die ein weiteres Projekt abzielt, an dem tschechische Forscher beteiligt sind. Die Initiative Maseltov (7), an der ein CTU-Team mitwirkt, verfolgt das Ziel, innovative mobile IKT-Technologien einzusetzen, um Zuwanderer in europäische Länder bei der Überwindung der sozialen und kulturellen Isolation zu unterstützen. Die von den Maseltov-Forschern entwickelten Anwendungen, die zur Installation auf einem Mobilgerät des Nutzers vorgesehen sind, stellen den Einwanderern Dienstleistungen wie eine allgegenwärtige Sprachübersetzung, Navigation, den Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit Verwaltungsfragen und gesundheitlichen Notlagen, soziale Netzwerke und überzeugende Lernwerkzeuge zur Verfügung. --- Die in diesem Artikel beschriebenen Projekte wurden finanziell innerhalb des Siebten Rahmenprogramms für Forschung (RP7) unterstützt. (1) NIFTI: "Natural human-robot cooperation in dynamic environments (2) Humavips: Humanoids with auditory and visual abilities in populated spaces" (3) Replicator: "Robotic eEvolutionary self-programming and self-assembling organisms" (4) M-ECO: "Medical EcoSystem" (5) Reflect: "Rendering FPGAs to Multi-Core Embedded Computing" (6) Faust: "Feedback Analysis for User adaptive Statistical Translation (7) Maseltov: Mobile Assistance for Social Inclusion and Empowerment of Immigrants with Persuasive Learning Technologies and Social Network Services" Nützliche Links: - FP7 auf CORDIS - NIFTI auf CORDIS - Humavips auf CORDIS - Replicator auf CORDIS - M-ECO auf CORDIS - Reflect auf CORDIS - Faust auf CORDIS - Maseltov auf CORDIS